Hamburg. Im Rahmen des „Thalia International“-Programms war Kornél Mundruczós Inszenierung „Pieces Of A Woman“ zu sehen.

So ein Einfamilienhaus kann ziemlich deprimierend aussehen. Möbel vom schwedischen Discounter, geschmacklose Bilder, ansonsten Wand, Fenster, Tür. Von außen allerdings erfüllt das Gebäude, das Monika Pormale auf die Bühne des Thalia Theaters gestellt hat, seinen Zweck: Die weiße Außenwand ist die perfekte Projektionsfläche für einen Live-Film, der das zeigt, was im Inneren passiert. Und was passiert? Ein Trauma: Maja erleidet eine Fehlgeburt, und das Publikum ist gleichzeitig ganz nah und distanziert mit dabei.

Die Autorin Kata Wéber hat das Stück „Pieces Of A Woman“ nach einer eigenen Fehlgeburt geschrieben, ihr Lebensgefährte Kornél Mundruczó inszenierte den Text 2018 in Warschau am TR Warszawa als beeindruckende Verschränkung von Innen und Außen (und verfilmte ihn zwei Jahre später als US-amerikanisch-kanadische Koproduktion). Seither tourt die Warschauer Aufführung durch Europa, war zum Beispiel in Brüssel beim Kunstenfestivaldesarts zu sehen, beim Festival d’Avignon und beim Athen Epidaurus Festival.

Die Inszenierung lebt durch die genaue Figurenzeichnung

Und jetzt im Thalia, als erster Beitrag des „Thalia International“-Programms. Eine konsequente Entscheidung: Mundruczó ist als Regisseur am Haus präsent, inszenierte hier beispielsweise im Oktober die deutschsprachige Erstaufführung von Hanoch Levins „Krum“.

Dass Mundruczó nicht nur im Theater sondern auch im Kino erfolgreich ist, merkt man „Pieces Of A Woman“ deutlicher als „Krum“ an: Die Inszenierung lebt im ersten Teil durch ihre hochprofessionelle Kameraarbeit (Live-Video: Łukasz Jara und Łukasz Winkowski), später vor allem durch genaue Figurenzeichnung. Alle Protagonisten sind eins mit sich, das Stück ist, wenn man so will, ganz traditionelles Schauspielertheater, das nicht daran denkt, sich selbst durch postdramatische Schlenker oder ironische Brüche zu hinterfragen – und dass einem das nicht irgendwie altbacken vorkommt, liegt vor allem am großartigen Ensemble, allen voran Justyna Wasilewska als Maja und Dobromir Dymecki als ihr Mann Lars.

"Pieces of a woman": Man leidet mit den Figuren

Man leidet also mit diesen Figuren, man spürt, wie Maja nach und nach ihre Selbstbestimmung verliert, zunächst als die Hebamme Ewa (Monika Frajczyk) übergriffig die fatale Geburt an sich reißt, dann als Majas Familie darauf drängt, Ewa zu verklagen. Man freut sich, als Maja sich schließlich ihre Autonomie zurückerkämpft, mit Aggressivität, auch mit Witz – „Pieces Of A Woman“ ist streckenweise ein richtig lustiges Stück, dem tragischen Thema zum Trotz. Und nicht zuletzt erzählt der Abend auch etwas über die Zustände im heutigen Polen, in einer Gesellschaft, in der Katholizismus, Nationalismus, Alkohol und Wirtschaftskrise sich in das private Drama einschreiben.

Was ziemlich genau das ist, was man am Alstertor mit „Thalia International“ will: den Blick über die Grenzen des deutschsprachigen Theaters öffnen und dabei gleichzeitig ein Empathietrigger für hiesige Sehgewohnheiten sein.