Hamburg. Die Kiez-Kneipe Zum Goldenen Handschuh ist durch den Mörder berühmt geworden. Was ist dran an dem Mythos? Eine Spurensuche.
Spätestens, seit der Film von Fatih Akin Premiere auf der Berlinale gefeiert hat, weiß ganz Deutschland etwas mit dem Namen Fritz Honka anzufangen – und mit seiner Stammkneipe auf dem Kiez. Der Goldene Handschuh, in der der Frauenmörder ein und aus ging, ist Hamburgern natürlich schon viel länger ein Begriff.
Als Heinz Strunks Buch "Der goldene Handschuh" noch nicht auf der Kinoleinwand, dafür aber (im November 2017) auf der Bühne des Schauspielhauses gespielt wurde, hat unser Autor sich die Nacht in dem berüchtigten Lokal um die Ohren geschlagen.
Eine Nacht im Goldenen Handschuh
Der kleine gebückte Mann, nennen wir ihn mal „Draufi“, weil er voll drauf ist, tanzt seit einer Stunde zitternd und mit den Armen rudernd durch das Lokal, in der linken Hand eine Schachtel John Player Special, in der rechten ein Astra. Aus der Jukebox schallt der Hit „Panda“ von Desiigner, und „Draufis“ Kopf ruckt einem Huhn gleich hin und her, dann zu uns.
Zwinkern. Mustern. Er legt seine Kippen auf unserem Tisch ab, stellt sein Bier dazu, und tanzt weiter durch die „Honka-Stube“, wie auf dem Schild über dem Eingang steht. Als ironischer Untertitel des wahren Namens einer Kiez-Institution: „Zum Goldenen Handschuh“.
Fritz Honka, der berüchtigste Gast im "Goldenen Handschuh"
So könnte Heinz Strunks Roman „Der goldene Handschuh“ beginnen, wenn er nicht in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren spielen würde, sondern 2017. Aber im Buch geht es um das alte St. Pauli, die Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“ auf dem Hamburger Berg und ihren berüchtigsten Gast, den vierfachen Frauenmörder Fritz Honka, der dort seinerzeit seine späteren Opfer kennenlernte.
Und Strunks hervorragend in vielen Nächten recherchiertes und zeitkoloriertes Porträt der Kneipe und ihrer Gäste entbehrt bei aller Abscheulichkeit vieler Beschreibungen nicht einer liebevollen, ja respektvollen Zuneigung gegenüber jenen, die damals durch die Nacht schwärmten und taumelten.
Der „Goldene Handschuh“ hat die Zeit nahezu unverändert überdauert
Des Lebens mehr müde als munter, aber sich noch daran festkrallend wie am Glas Fako (Fanta-Korn, neben Cola-Rum Honkas Getränk der Wahl) vor ihnen auf dem Tisch. „Die Bestie von Altona“, Fritz Honka, 1993 aus 15 Jahren Haft und Psychiatrie entlassen, starb 1998 unter neuem Namen unerkannt im Krankenhaus Ochsenzoll an Organversagen. Der „Goldene Handschuh“ aber hat die Zeit nahezu unverändert überdauert.
1953 investierte der zweimalige Box-Europameister Herbert Nürnberg seine Preisgelder in die Kaschemme, seine Enkel Sascha und Jörn Nürnberg betreiben sie jetzt in dritter Generation. Unzählige Geschichten wie die von Matrosen, die den „Handschuh“ eine Woche lang nicht verließen oder von dem Juwelier, der hier seinen Laden verjubelte, gesellten sich so mit den Jahren zum viel erzählten Honka-Schauer.
Die Tische sind gut besetzt, eine Frau hält ein Nickerchen
Aus der Jukebox tönt „All Night“ von Icona Pop, zwei Zocker füttern die beiden Spielautomaten, und die aufgehängten Fanschals von Köln, Hannover, Kaiserslautern, Rostock und Karlsruhe saugen Unmengen von Zigarettenqualm auf: „Dreckige Siege fühlen sich auch gut an.“ Die sieben Tische, zwei davon mit Tanzstangen, und der L-förmige Tresen sind gut besetzt, eine Frau am Fensterplatz hält ein Nickerchen, die Bierflasche fest umklammert.
Helene Fischer singt „Atemlos durch die Nacht“ und durch den Eingangsvorhang tritt „Zopf“. Er erkennt seinen Kumpel „Draufi“, freudig begrüßen sich die beiden, dann kippt aber sofort die Stimmung. „Zopf“ schreit: „Ey, wo ist mein Geld?“, und „Draufi“ entgegnet: „Ey, wo ist mein Geld?“ Stühle werden umgeschmissen, ein paar Knuffe vor der Brust ausgetauscht, aber bevor „Herr Ober“ anrücken kann, ist „Zopf“ so schnell er kam wieder verschwunden.
"Herr Ober" sorgt für Getränke – und für Ruhe
„Herr Ober“ ist neben dem Barmann das Faktotum, der Allesmacher an diesem Abend. Er nimmt Bestellungen an, bringt Getränke an die Tische (ein seltener Service auf dem Hamburger Berg) und passt auf, dass niemand die hier sehr weit gesetzten Grenzen der Toleranz verletzt. Ein Kellner mit Oberaufsicht und einer gelassenen Ruhe, der viel körperliche Kraft innewohnt. „Herr Ober“ eben.
Als „Draufi“ anfängt, andere Gäste anzurempeln und zu belästigen, geleitet ihn „Herr Ober“ freundlich, fast zärtlich, aber bestimmt zur Tür hinaus.
Der Hamburger Berg, eine eigene Minimeile
Dort wird „Draufi“ andere Kaschemmen finden. Neuere wie alteingesessene. Vielleicht geht es in den ebenso berüchtigten „Elbschloss Keller“, in „Rosi’s Bar“, „Hong Kong Bar“, „Lunacy“, „Roschinsky’s“, „Barbarabar“, „Sorgenbrecher“ oder „Pooca“, vom Metaltreff über die Studentenbutze bis zur Gardinenpinte ist alles dabei.
Und während Eckkneipen auf dem Kiez und in den Stadtteilen in Zeiten von Cornern, Kioskschwemme und Discountersaufen einen schweren Stand haben, ist der Hamburger Berg besonders an sommerlichen Wochenenden eine eigene Minimeile, durch die sich Partygänger, Touristen, Zecher, Schnorrer, Dealerbanden und - es gibt sie – Anwohner schieben. Das Durchschreiten einer Kneipentür ist auch ein Ausweichen vor der Meute, dem Gegröle, Geklirre, Gebrabbel und Gegrabbel. Und hinter der Tür wartet auf einen: Gegröle, Geklirre, Gebrabbel und Gegrabbel. Hunger auf Erlebnis, was Verrücktes, und dazu unbändiger Durst.
Im Goldenen Handschuh hat man schon alles erlebt
„Herr Ober“ und die Stammgäste im „Handschuh“ kann das nicht schrecken. Im Hamburger Berg Nr. 2 hat man schon alles, wirklich alles und noch viel mehr erlebt. Vor der Tür könnten Zustände wie in der Schanze bei G 20 herrschen, hier hat man seine Ruhe, egal wie laut der „Hitmix“ von Costa Cordalis dröhnt.
Da stört es auch keinen, dass ein 100-Kilo-Koloss auf den Tisch steigt und eine beachtliche Stangentanz-Show liefert, inklusive kopfüber Herunterrutschen. Die Stange lockert sich bedenklich an der Deckenbefestigung. Schulterzucken. Nichts Besonderes an einem ganz normalen Mittwoch. „Draufi“ ist wieder da und schafft es, vor seinem erneuten Rauswurf 20 Sekunden nicht von „Herr Ober“ entdeckt zu werden. Seine Kippenschachtel liegt immer noch auf dem Tisch, aber sie ist fast leer.
50 Lebensgeschichten in 20 Minuten
Denn es gibt wohl einige ungeschriebene Gesetze im „Handschuh“, und eines davon ist „Zigaretten schlauchen“: Offen herumliegende Packungen sind Einladungen zum Entnehmen, Volkseigentum sozusagen, wie „Frau Schwarz“ erklärt, als sie hineingreift und sich zu uns setzt: schwarze Haare, schwarze Jacke, schwarze Mütze, schwarzer Humor, schwarze Lunge.
Gut 20 Minuten reichen für 50 verschiedene Lebensgeschichten aus 50 Jahren. Was die Merkel sie alles kann, wie sie Platte in Berlin gemacht hat und wie einst im Wald eine Bache mit sechs Frischlingen sanftmütig an ihrer Hand roch.
"Lotto King Karl in 20 Jahren" sieht müde aus
„Schau mal, der da sieht aus wie Lotto King Karl in 20 Jahren“, sagt „Frau Schwarz“, und zeigt auf eine typische Tresenklette, wie es sie in jeder Kneipe gibt. Sie kommen allein rein, trinken allein ihre drei, vier Bier und gehen allein wieder. Worte brauchen sie nicht, das Anheben der leeren Flasche reicht, um von „Herr Ober“ eine neue zu bekommen.
„Lotto in 20 Jahren“ scheint müde zu sein im Jahr 2037 nach 88 Stadtpark-Konzerten und 23 HSV-Beinahe-Abstiegen: in einer Hand hält er ein Holsten, in der anderen eine Tasse Kaffee. Frühstück für Champions, nachts um halb eins. Auch „Frau Schwarz“ trinkt diverse Holsten Edel, die sie gewitzt ebenso diversen Gästen abschwatzt, so auch uns. Wenn wir einen schönen Mann um die 50 sehen, sollen wir Bescheid sagen, erzählt sie noch. Der letzte Galan, der mit ihr den „Handschuh“ verlassen wollte, war mit 19 Jahren zu jung und auch noch zu frech. „Nix für mich“, lacht sie.
Strunks Honka-Roman lockt junge Gäste
„Musik ist alle“, ruft jemand. Wir füttern die Jukebox mit drei Euromünzen und bekommen 15 Lieder, die Auswahl ist endlos. Die Fantastischen Vier rappen „Populär“, und die Beats locken eine große Gruppe adrett gekleideter Twens herein. Vielleicht sind sie gezielt hier, denn auch der „Handschuh“ ist durch Strunks Roman und eine Art Hipster-Revival von altmodischen Schankwirtschaften populär bei jungen Nachtschwärmern.
Eventuell auch bald bei Theatergängern, die die Bühnenadaption von „Der goldene Handschuh“, inszeniert von Studio Braun (Heinz Strunk, Jacques Palminger, Rocko Schamoni) im Schauspielhaus sehen. Fatih Akin plant eine Verfilmung des Romans, der 2016 mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis ausgezeichnet wurde.
"Herr Ober" bringt "Fako" für 3,50 Euro
Die Kneipenbummler oder Meuchelmörder-Touristen, die dank Strunk durch den Vorhang treten, erkennt man schnell. Ebenso wie „Ritzen-Schorsch“, „Glatzen-Dieter“, „Nasen-Erni“, „Bulgaren-Harry“, „Doornkaat-Willy“, „Soldaten-Norbert“ oder „Fiete“ Honka im Buch ordern sie Fako, obwohl er nicht auf der Karte an der Wand steht: Weinbrand 1,90 Euro, Holsten Edel 2,20 Euro, Champagner 95 Euro. Im Roman gibt es den Fako 1:1 gemischt, im wirklichen Leben bringt „Herr Ober“ für 3,50 Euro zwei Finger breit Korn auf Eis im Glas, getrennt dazu eine Flasche Fanta. Wie anderswo Gin und Tonic.
„Halb zwei, die blaue Stunde, für Gerda jedenfalls ist es die blaue Stunde. Schmiersuff“, schreibt Strunk. Hier läuft der Laden um halb zwei wie geschmiert, es ist drängelig, die Frau auf dem Fensterplatz schläft immer noch selig. Der Qualm beißt auch geübten Rauchern in den Augen, und da die Schachtel von „Draufi“ leer ist, gibt es am Tisch nichts mehr zu schlauchen. Nun heißt es schnorren. Auf den Tisch klopfen und „Hassu manne Kippe?“ fragen ist jetzt der einzige Eintrag im Konversationshandbuch vieler Besucher. Eine „Bibi-Blocksberg“-Jacke wird vermisst, die wurde wohl geschlaucht.
Eine Traditionsspelunke mit klangvollem Namen
Es wird nicht viel anders sein gerade als in der „Hans-Albers-Klause“, im „Schlemmer-Eck“, im „Zum Silbersack“, im „Zum Anker“ oder bei „Gretel & Alfons“. Den Traditionsspelunken mit klangvollen Namen, die Jahrzehnte auf St. Pauli überlebt haben. Auch „Zum Goldenen Handschuh“, die „Honka-Stube“, bleibt da für alle, die durch die Nacht schwärmen und taumeln.
Die einen sind des Lebens mehr müde als munter, andere lebenshungrig und durstig. Zusammen ist man auch einsam weniger allein. Die Jukebox verabschiedet uns mit „Dancing With Myself“ von Generation X. „Frau Schwarz“ tanzt allein, aber das muss ja nicht so bleiben. Es dauert ja noch eine Weile, bis der „Goldene Handschuh“ schließt.
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