Hamburg. Die befreundeten Schauspielerinnen Karoline Eichhorn und Catrin Striebeck brillieren auch im Sitzen mit großer emotionaler Bandbreite.

Das Anna-Karenina-Prinzip in Kurzfassung: Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich. Eine besondere Kategorie bilden dabei Geschwister-Konstellationen, zumal im Erwachsenenalter. Ohne klare Schnäpse in Reichweite sind die geballten Wahrheiten bisweilen gar nicht auszuhalten. Die Königsklasse: Schwestern unter sich.

Auf die Idee jedenfalls könnte kommen, wer den „Vodkagesprächen“ der beiden ungleichen Schwestern Freya und Edda an den Hamburger Kammerspielen lauscht: Was Karoline Eichhorn und Catrin Striebeck da an Schonungslosigkeiten abliefern, ist in mancherlei Hinsicht eine hochprozentige Angelegenheit – und mit dem bescheidenen Begriff „Szenische Lesung“ nur sehr unzureichend beschrieben.

Kammerspiele: Bei den „Vodkagesprächen“ wird es emotional

Papa ist tot – und sein Erbe auch ein politisches Problem. Es gibt viel zu besprechen, viel zu betrinken, und „wenn man in dem Alter was intus hat, ist der Übergang zur Geschichtsstunde ganz fließend“, grollt Freya. Die düstere Grundstimmung für den späteren Dialog setzt zunächst ein Stummfilm, gedreht in einer beeindruckenden alten Villa am Bodensee. Eine Trauerfeier, Erinnerungen an die Kindheit, ein geheimnisvoll verschlossenes Zimmer.

Nach dem filmischen Prolog treffen sich die beiden Töchter des Hauses, noch in Schwarz, zum Trauertrunk am Gartentischchen. Die eine, Schauspielerin, ist aus Berlin in die Heimat zurückgekehrt, wo die andere, Mutter und Ehefrau, hängenblieb. „Du und ich, wir sind wie Tag und Nacht, aber wir sind sehr, sehr schön!“ – immerhin darauf kann man sich verständigen.

Als Publikum hat man auch nüchtern großen Spaß

Ihre Textbücher haben Karoline Eichhorn, die sich als Edda anfangs noch daran festklammert, und Catrin Striebeck, die als Freya die Flasche nötiger hat, zwar auf dem Tischchen liegen. Ohne gelegentliches Umblättern vergäße man sie beim Zuschauen schnell. Arne Nielsen hat den Frauen rasante Dialoge auf den Leib gezimmert, die ihnen sogar im Sitzen eine famose Bandbreite an Dynamiken und emotionalen Temperaturen ermöglichen. Die Ehrlichkeit steigt mit dem Promillestand, da werden der Fahrradhelm-Ehemann der einen ebenso durchgehechelt wie glücklose Männergeschichten („Er hat Feuchttücher vertrieben, war also fast Arzt“) und Karriereideen („Uns wirklichen Künstlern geht’s mehr um den Prozess“) der anderen.

Zärtlich, schroff und auch im besoffensten Zustand noch bemerkenswert klar hauen sich Striebeck und Eichhorn mit großer Lust und mitreißender Energie die Lächerlichkeit des Lebens, die Kompliziertheiten der Liebe und ein „Verfügungsunterlassungsvermächtnis“ um die Ohren. Sie schenken sich nichts – und dem Publikum alles. Als Gaststar bierbichlert Sepp Bierbichler vom Band.

Nüchtern betrachtet: ein sehr komischer, durchaus auch trauriger, alles in allem ziemlich phänomenaler Abend.

„Vodkagespräche“, Hamburger Kammerspiele (Hartungstr. 9-11, U Hallerstr.), wieder am 17.11., 19.30 Uhr, 29.1.22, 19.30 Uhr, 30.1.22, 18 Uhr, Karten unter T. 41 33 44 0 und www.hamburger-kammerspiele.de