Hamburg. Trotz einer präsenten Judith Richter bleibt „Zuhause bin ich Darling“ in der Komödie Winterhude ein seltsames Stück. Eine Kritik.
Träumen ist ja durchaus erlaubt - mal, nicht immer. Und das Haus von Judy und Johnny hat wirklich etwas Traumhaftes, wenn man auf Nostalgie und Retro-Look steht: hinten an der Wand ein Filmplakat von „Pillow Talk“ („Bettgeflüster“) mit Rock Hudson und Doris Day, davor Nierentische und Cocktailsessel. In der stilechten 50er-Jahre-Küche steht ein wuchtiger, reichlich Strom fressender Kühlschrank, daneben ein alter silberfarbener Toaster, dazu noch ein rosafarbenes Wandtelefon. Alles zuckersüß.
Er lobt sie für „den besten Toast der Welt“. Und sie seufzt selig „Meine Bibel“, wenn sie im Buch „Die perfekte Hausfrau“ weitere Tipps für die Hausarbeit entdeckt. Doch spätestens, als Judy auf dem Tischchen den Laptop aufklappt, um Bill Haleys „Rock Around The Clock“ zu hören, ist klar, dass es in dieser von Alfred Peter auf zwei Ebenen hingezauberten Heile-Welt-Kulisse noch Bezüge zur Gegenwart geben muss.
„Zuhause bin ich Darling“ ist bereits die dritte Premiere in der Komödie Winterhuder Fährhaus seit dem Neustart im Sommer. Aber eine Gesellschaftssatire, als die das Stück angekündigt wurde? Da muss man schon sehr genau hinhören, lange bei der Stange bleiben und viel Fantasie entwickeln. Umso verwunderlicher, als „Home, I’m Darling“ 2019 in London als beste neue Komödie mit dem Laurence Olivier Award ausgezeichnet wurde. Beim Transport ins Deutsche durch Michael Raab scheint ein Großteil des Dialogwitzes - falls denn im englischen Original vorhanden - im Ärmelkanal über Bord gegangen zu sein. Oder leidet der britische Humor wie die dortige Wirtschaft womöglich ebenfalls unter dem Brexit?
Judith Richter - gekonnt zwischen Naivität und Verzweiflung
Komödien-Intendant Martin Woelffer hat sich zweieinhalb Jahre nach der deutschsprachigen Erstaufführung in Berlin in einer Winterhuder Neu-Inszenierung des Stücks von Laura Wade angenommen, hat versucht, es aufzupeppen. Doch zaubern wie sein Bühnenbildner kann auch der sonst im zeitgemäßen urbanen Boulevardtheater so einfallsreiche Woelffer hier nicht. Allenfalls etwas umstellen, politisch aktualisieren und lokalisieren sowie musikalisch anreichern.
Von Little Richards „Tutti Frutti“ bis zu Jerry Lee Lewis’ „Whole Lotta Shakin’ Goin’ On“ wird jetzt kaum einer der großen Rock-’n’-Roll-Hits ausgelassen. Die sechs Schauspieler nutzen diese zu einstudierten Tanzeinlagen. Applaus, Applaus. Doch die Musik streckt die recht dünne und seltsame Story. Gewiss, Rock ’n’ Roll, Petticoats und Pomade passen zu Judys und Johnnys Faible für die 50er-Jahre. Bis zur erhellenden Erkenntnis, weshalb sich eine 38 Jahre alte Ehefrau freiwillig dafür entschieden hat, ihren Job mitsamt Karrierechancen aufzugeben, um wieder das Heimchen am Herd zu sein, brauchst es aber einiges an Geduld und Sitzfleisch.
Und das liegt nicht etwa an der Protagonistin: Judith Richter spielt Judy, ohne in zwei Stunden je einmal von der Bühne abzugehen, mit souveräner Präsenz. Gekonnt, manchmal fast karikaturenhaft, changiert die Komödiantin zwischen liebenswerter Naivität und zunehmender Verzweiflung. Ohne dass es Judys Mann mitbekommen hat, hat die nun einkommenslose Neo-Hausfrau in ihrer Traumwelt das Ehepaar in finanzielle Schieflage gebracht. „Wir müssen mit den 50ern aufhören!“, zürnt Johnny alias Frederic Böhle.
„Zuhause bin ich Darling“: Dritte Premiere in der Komödie Winterhuder Fährhaus
Der kann sich erst bei den von weiteren Tanzeinlagen garnierten Szenen einer Ehe etwas freispielen. Sein Johnny („Als Versorger bin ich ein Versager“) ist bei der Beförderung von seiner neuen Chefin Alex (Henrike Fehrs) übergangen worden, was zusätzlichen Spielraum für Spekulationen lässt, aber die Motive der 50ies-Lady Judy für ihren Rückzug ins Private offenbart. Sie lässt sich doch aus der Reserve locken.
Gilt umso mehr für ihre Hippie-Mutter Sylvia: „Du lebst in einem Comic!“, hält sie ihrer Tochter vor. „Für das hier habe ich nicht gekämpft und ich finde es auch nicht mehr komisch!“ Beatrice Richter erhält Szenenbeifall für ihren Monolog. Die Schauspielerin, vor fast vier Jahrzehnten als TV-Star („Sketchup“) populär geworden und auch im wahren Leben Mutter der Hauptdarstellerin, hat im zweiten Teil ihren großen Auftritt. Dass sie der Bühnen-Tochter damit den Weg aus ihrer Blase weist, es hat zumindest einige tragikomische Ansätze.
Und wie hatte noch eine Besucherin im Saal zu Beginn des zweiten Teils etwas mitleidig zu ihrem Gatten geraunt: „Denk an den Kartoffelsalat und die Würstchen ...!“ Die hatte Komödien-Leiterin Britta Duah allen Gästen noch vor der Premiere schmackhaft gemacht - im Anschluss gab es beim ersten Winterhuder Theaterabend unter 2G-Bedingungen erstmals seit 20 Monaten wieder eine Premierenfeier im äußeren Foyer mit dem traditionellen Essen. Kein Traum, sondern Realität - für diejenigen, die der Hunger trieb
„Zuhause bin ich Darling“ bis 12.12. und 28.12.–2.1., Komödie Winterhude (U Hudtwalckerstraße), Hudtwalckerstr. 13, Karten ab 24,-: T. 48 06 80 80; www.komoedie-hamburg.de