Hamburg. Die Sängerin veröffentlicht ihr zweites Album in diesem Jahr. Warum dieses durchaus persönlich und ziemlich grandios geworden ist.

Man könne es wohl lehrbuchhaft nennen; „I guess you could call it textbook“, singt Lana Del Rey am Anfang ihres neuen Albums. Eine Zusammenfassung ihres Lebens bis zu diesem Punkt?  Eine Verallgemeinerung persönlicher Erlebnisse? Das würde nie und nimmer an ihrem Status als Ikone rütteln. Sie kommt von der Verschattung der Seele her, Lana Del Rey ist eine Bannerträgerin der Trauer. Da kann man dennoch oder gerade deswegen Identifikationsmodell sein. „Textbook“, der Eröffnungssong ihres neuen Albums „Blue Banisters“, ist die Ouvertüre eines autobiografischen Trips, der über die folgenden 14 Tracks gehen soll und gehen wird.

Sie schreibe auf diesem achten Album ihre eigene Geschichte, weil niemand das außer ihr könne, hat die 36-jährige Sängerin auf ihren digitalen Kanälen verbreitet, bevor sie diese im September allesamt löschte. Letzteres darf man als gezielte künstlerische Entscheidung verstehen: Die Weltschmerz-Lana, die so köstlich über nicht funktionierende Beziehungen klagen kann (aber immer im Modus der schönen Schlafwandlerin) und sich als notorisch verletzte Hollywood-Diva inszeniert, will jetzt erst einmal nur noch ihre Lieder sprechen lassen.

Del Reys Album „Blue Banisters“ ist ein glorreicher Songreigen

Jeder Moment der Berechnung dahinter hat seine Berechtigung – vor allem wenn man es wie im Falle „Blue Banisters“ mit einem glorreichen Songreigen zu tun hat, der hauptsächlich mit Piano und Stimme auf bestrickende Weise von einer Erziehung der Gefühle erzählt. Als im März Del Reys Album „Chemtrails Over the Country Club” erschien, annoncierte die Künstlerin bereits einen Tag danach für den Sommer ein weiteres Album namens „Rock Candy Sweet“ mit dem Hinweis, sie werde auf diesem auch ihre Kritiker adressieren. Nach einigem Hin und Her ist nun also „Blue Banisters“ da, ein Album, von dem inklusive „Textbook“ und dem Titelsong bereits vier Stücke zuletzt veröffentlicht wurden.

Die Vorwürfe gegen Del Rey („Wann immer Leute das Thema Feminismus aufbringen, bin ich nicht wirklich interessiert“) lauteten vor allem auf: Romantisierung weiblichen Opfertums im Beziehungsleben. Eine Kritik, die man im Hinblick auf das gerechte Programm der weiblichen Selbstermächtigung gut verstehen konnte. Andererseits, wer hätte sich stets über maskulinen Minnesang und singende Liebesjammerlappen männlichen Geschlechts beschwert? Wobei der Vergleich stark hinken könnte. Und dennoch: Gleichberechtigung, wenn schon, denn schon.

Auch interessant

Auch interessant

Auch interessant

“Blue Banister” ist Lana Del Reys Ode an die Freundschaft

Lana Del Rey selbst wehrte sich 2020 auf Instagram gegen den Verdacht, sie verherrliche emotionalen Missbrauch, indem sie darauf verwies, dass sie über die Realität singe und die „weitverbreiteten Beziehungen“, in denen es zu jenem komme. Wo wir wieder beim Schlagwort „lehrbuchhaft“ wären: Die berühmte Sängerin Lana Del Rey („Video Games“, „Summertime Sadness“) ist nicht allein in ihrem Schicksal, aber sie hat die Mittel, stellvertretend für alle darüber zu singen.

Es sind Vignetten des gebrochenen Herzens, die die Erzählerin in den Songs entblättert. Eine missglückte kalifornische Liebschaft mit einem Mann, in dem sie den Vater suchte („Textbook“, überhaupt der abwesende Vater, er taucht auch in „Wildflower Wildfire“, „Black Bathing Suit“ und „Dealer“ auf) , dann aber auch eine amouröse Vergeblichkeit in Oklahoma („Blue Banisters“): „’Cause I met a man who/Said he’d come back every May/Just to help me if I’d paint/My banisters blue/Blue banisters, ooh/Said he’d fix my weathervane/Give me children, take away my pain/And paint my banisters blue/My banisters blue”.

Im Songvideo posiert Lana Del Rey auf einem John-Deere-Traktor („There’s a picture on the wall of me on a John Deere/Jenny handed me a beer, said, ‘How the hell did you get there?’“), und auch sonst ist der Clip eine getreuliche Visualisierung des Liedtexts. “Blue Banister” ist Lana Del Reys Ode an die Freundschaft, denn am Ende ist es die Girl Power, die ihr Hoffnung gibt – grüne Geländer, nicht blaue: „I said, ‚The power of us three can bring absolutely anything/Except that one thing, the diamonds, the rust, and the rain/The thing that washes away the pain’/But that’s okay, ‘cause/Now when weather turns to May/All my sisters come to paint/My banisters green”.

„Beautiful“ ist das zentrale Stück auf “Blue Banister”

Einer der besten Songs auf diesem Album ist ein seit längerem Eingeweihten bekannter Track namens „Dealer“, der von einer einst angedachten Zusammenarbeit mit den Last Shadow Puppets stammt. Deren Frontmann Miles Kane singt sich mit Del Rey in diesem düsteren Stück für die Split Lovers‘ Lounge kräftig an: Such mich bloß nicht, und schon gar nicht über meinen Dealer.

„Arcadia“ ist – gerade mit dem dazugehörigen Video – ein Zeugnis vollendeter Körperpositivität und eine kraftvolle Ballade über die Einheit von Körper, Geist und Kalifornien. „Beautiful“, als weiterer Song in diesem von fünf Produzenten (inklusive Lana Del Rey; Jack Antonoff, dem sie zuletzt Sound-mäßig einiges verdankte, ist diesmal allerdings nicht dabei) gefertigten Zeugnis der Popgetragenheit, ist das zentrale Stück des Albums.

Es ist die Legitimationserklärung der regierenden Melancholiekönigin, für die ja nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihr Wesen auf dem Spiel steht, wenn sie den Kritikerinnen und Kritikern Recht gäbe:“What if someone had asked Picasso not to be sad?/Never known who he was or the man he’d become/There would be no blue period/Let me run with the wolves, let me do what I do/Let me show you how sadness can turn into happiness/I can turn blue into something”. Lasst mich machen, was ich will, lasst mich ich selbst sein, ihr habt ja auch Picasso nicht gebeten, nicht traurig zu sein.

Lana Del Rey liefert mit “Blue Banister” zeitlos schöne Musik

Den Picassovergleich lassen wir durchgehen. Weil die lyrischen Qualitäten Lana Del Rey auch diesmal wieder als eine Songtexterin von Rang ausweisen. Man hat anlässlich des Großwerks „Norman Fucking Rockwell!“ (erschienen 2019) ihre Kunst als Dekonstruktion des amerikanischen Traums bezeichnet, und wahrscheinlich kann man das als Überhöhung so stehen lassen: Das Streben nach Glück, das stets noch in zerbrochenen Träumen endete.

Ohne den symbolischen Firlefanz ist die grandiose Popkünstlerin Lana Del Rey, die in „Black Bathing Suit“ davon singt, dass sie halt einfach kompliziert ist („I guess I’m complicated, my life’s sorta, too”), ein nur mittelglücklicher Mensch, der es schafft, dieses allgemeingültige Fatum in zeitlos schöne Musik zu transzendieren.