Hamburg. Zum 100. Jubiläum der Donaueschinger Musiktage gab es in der Elbphilharmonie ein Konzert, das viel zu schnell vorbei war.
Stücke der Neuen Musik, die bei den jährlich im Oktober stattfindenden Donaueschinger Musiktagen zu hören sind, wurden früher entweder in großer zeitlicher Distanz zu ihrer Uraufführung bei diesem Festival an anderen Orten und oft von anderen Ausführenden nachgespielt oder verschwanden gleich wieder in der Versenkung.
Dass ein dort präsentiertes Werk wie „The Red Death“ vom italienischen Komponisten Francesco Filidei gleich ein paar Tage später in Hamburg wiederholt wird, ist dagegen eine bemerkenswerte Ausnahme in der Geschichte dieses Festivals, das weltweit zu den wichtigsten Begegnungsstätten der Avantgarde zählt. Grund dafür ist das 100. Jubiläum der Donaueschinger Musiktage, das auch Anlass zu einer vierteiligen Konzertreihe der Elbphilharmonie und einer lesenswerten, beim Henschel Verlag gerade veröffentlichten Dokumentation mit dem Titel „gegenwärtig“ gab.
„The Red Death“ in der Elbphilharmonie zieht in den Bann
Der Chefdirigent der Symphoniker Hamburg, Sylvain Cambreling, ist Stammgast bei dem geschichtsträchtigen Festival am Rande des Schwarzwalds. Am Mittwoch leitete er in der Elbphilharmonie bei der Hamburger Erstaufführung des Oratoriums „The Red Death“ das SWR Vokalensemble Stuttgart, das Chorwerk Ruhr und ein fünfköpfiges Solistenensemble.
Ein eindrucksvolleres Werk der zeitgenössischen Musik haben wir in jüngster Zeit wahrlich kaum zu hören bekommen. Vom ersten Takt bis zum langen, in die Seele dringenden Epilog war man gebannt und am Ende fast enttäuscht, dass es nach knapp anderthalb Stunden schon zu Ende war.
Unter Sylvain Cambreling: Musik gerät regelrecht ins Grooven
Francesco Filidei und seine Librettistin Hannah Dübgen hatten versucht, aus Edgar Allan Poes Kurzgeschichte „Die Maske des roten Todes“ und Auszügen aus Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ eine Passion über die Erschütterung einer von Seuchen, ja auch von Corona bedrohten Gesellschaft zu kreieren. Packend gesungen vom Countertenor Hagen Matzeit ist Prinz Prospero besessen von der Idee, eine Gesellschaft in einem abgelegenen Kloster vor der Bedrohung zu schützen. Aber in der Abgeschiedenheit und sieben geheimnisvollen Räumen, wie wir sie von Poe kennen, entwickeln die Menschen neue Gefährdungspotentiale.
Ein helles, in der Klangregie des berühmten elektronischen Forschungscenters IRCAM verstärktes Rauschen und Zittern von Klangflächen eröffnet die Passion. Glockenschläge, auch ein typisches Motiv von Poes Fantasiewelten, wandern durchs Orchester, und es gibt gewaltige Steigerungen bei denen die Musik regelrecht ins Grooven gerät.
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An vielen Stellen mussten die Choristen sogar mit den Händen klatschen und sich auf die Schenkel hauen, was nur nicht immer so synchron gelang, wie es sich der Komponist wohl gewünscht hätte. Und Filidei bediente sich hemmungslos an tonaler Harmonik, Anleihen bei Carl Orff oder der Oper des Verismo. Noch vor wenigen Jahren hätten die Nerds der Avantgardemusik so etwas nie goutiert und hätten, erst recht in Donaueschingen, deshalb den Konzertsaal verlassen. Heute aber erlebt die Tonalität ein ungeahntes Revival in der Moderne. Und wenn man man diese Mittel so geschickt mit einem radikal neuartigen Klangumfeld verbindet, wie es Francesco Filidei bei „The Red Death“ tut, dann funktioniert das auch prächtig.