Hamburg. Jérôme Bel präsentiert auf Kampnagel ein weiteres Kapitel seiner Serie von Porträts berühmter Tänzerinnen und Tänzer.

Die neue Tanzperformance von Jérôme Bel mit dem Titel „Isadora Duncan“ beginnt erst einmal ohne Tanz. Stattdessen erläutert seine Assistentin Sheila Atala auf der Kampnagel-Bühne, wie die Tänze der US-Choreographin weitergereicht und einstudiert werden von Generation zu Generation. Duncan (1877-1927) galt als Pionierin und Wegbereiterin des so genannten „Freien Tanzes“, einer Art Ausdruckstanz. Sie war Ballettverächterin, verehrte die griechische Antike und ihre eleganten Haltungen. Sie bewegte sich barfuß und in langen Kleidern, was zu ihrer Zeit die Tanzwelt provozierte.

Mit „Isadora Duncan“ präsentiert Jérôme Bel ein weiteres Kapitel seiner Serie von Porträts berühmter Tänzerinnen und Tänzer. Es sind keine Monumente purer Huldigung – Bel ist ein Chronist, der immer von den Rahmenbedingungen der Kunst und den verborgenen inneren Regungen ihrer Macher erzählt, er lässt einen niemals kalt.

„Isadora Duncan“ auf Kampnagel: Mischung aus Performance und Lecture

So auch diesmal, wenn Elizabeth Schwartz mit ihren 71 Jahren die Tänze der Isadora Duncan auf der Bühne zum Leben erweckt. Die beschwingte „Water Study“ von 1900/05 zu einem Schubert-Walzer, das elegische „Prélude“ zur Klaviermusik von Chopin, das von Sehnsucht und Suche erzählt, von Selbstbesinnung und Akzeptanz. Berührend und schmerzvoll anzuschauen ist „Mother“, das acht Jahre nach dem frühen Tod ihrer beiden Kinder von Innigkeit und Abschied erzählt. Starker Moment der Selbstbehauptung: Im roten Kleid ballt sie die Faust zur „Revolution“.

Schwartz reiht nicht einfach Soli aneinander, sondern wiederholt sie mehrfach, mal in aller Stille ohne Musik, mal während die Assistentin das Gesehene mit Begriffen erläutert. Den Fluss der grazilen Bewegungen, mit höchster Konzentration und Akkuratesse ausgeführt, hindert das keineswegs. Man lässt sich ein auf diese Mischung aus Performance und Lecture, bei der Sheila Atala auch noch das bewegte, tragische Leben der Duncan resümiert: Gescheiterte Beziehungen, zwei in der Seine ertrunkene Kinder, Tod durch einen Autounfall, bei dem sie sich mit einem Seidenschal strangulierte, mit nur 50 Jahren. Puh.

Wenn dann allerdings im Laufe des Abends fünf Besucherinnen auf der Bühne das „Prélude“ erlernen, scheint es, als könne die Kunst das Leben mit all seinen Schrecken tatsächlich wenigstens für einen Moment überwinden.

Jérôme Bel: „Isadora Duncan“, bis 22.10., 19.30, Kampnagel, Jarrestraße 20-24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de