Hamburg. Zuletzt wurde die irische Starautorin für ihre Haltung zu Israel kritisiert. Bleibt die Frage, warum Sally Rooney ein Star ist.

Wie lustvoll in den Nachrichten, die sich Alice und Eileen schreiben, gedacht, analysiert und reflektiert wird. Wie sich hier zwei junge Menschen, die noch keine 30 sind, in großer Ernsthaftigkeit über Politik, Gesellschaft, Kunst und die menschliche Zivilisation unterhalten: Mit der schönen Überzeugung, intellektuell das Leben begreifen zu können. Einmal fragt Alice Eileen, ob sie glaube, das Problem des zeitgenössischen Romans sei „schlicht das Problem des gegenwärtigen Lebens“. Für Eileen ist es „vulgär“ und „dekadent“, „Energie in die Trivialität von Sex und Freundschaften zu investieren, wenn die menschliche Zivilisation vor dem Zusammenbruch steht“.

Alice und Eileen sind die Heldinnen in dem Roman „Schöne Welt, wo bist du?“, dem neuen Werk der weltweit heftig gefeierten irischen Starautorin Sally Rooney. Gut, der Party-Modus wurde zuletzt auch mal kurz ausgeschaltet. Rooney, deren Bücher „Gespräche unter Freunden“ (2017) und „Normale Menschen“ (2018) in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden, stornierte die geplante Hebräischübersetzung für das neue Buch.

Schillerzitat und schmucklose Prosa

Sie will damit gegen die Palästinenserpolitik Israels protestieren. Eine, sagen wir, intellektuell nicht ganz zu Ende gedachte Position. Dies ist ja allen Israel-Boykotteuren („BDS“) eigen, die Missstände im Nahen Osten ja durchaus ansprechen dürfen, aber immer doppelmoralisch unterwegs sind: Wo wären die Aufschreie bezüglich anderer Weltgegenden, in denen zum Beispiel die Menschenrechte missachtet werden?

Der Einschub sei an dieser Stelle deswegen erlaubt, weil er zum Realitätszugriff der Romanfiguren passt. Sie sind argumentativ und diskursiv unterwegs. Wenn sie nicht gerade Sex haben, Handynachrichten schreiben, reisen, reden. „Schöne Welt, wo bist du?“ (astreines Schiller-Zitat, Rooney erklärt es allen Nicht-Germanisten in der Danksagung) ist ein typischer Rooney-Roman. Reduzierte, schmucklose Prosa mit wahnsinnig viel Dialog. Nicht nur in den E-Mails der beiden Frauen. Sondern vor allem auch zwischen diesen und ihren jeweiligen Love Interests.

Eine seltsam herbe, gemeine Liebesbeziehung

Alice, eine Bestsellerautorin, die sich nach einem Aufenthalt in New York und einem in der Psychiatrie in der irischen Provinz niederlässt, befindet sich in einer seltsam herben, gemeinen Liebesbeziehung mit dem frustrierten Versandhaus-Packer Felix. Es gibt ein emotionales Gefälle in dieser Affäre: Sie ist reich (durch Buchverkäufe), er arm; und sie steht mehr auf ihn als er auf sie. All das und noch viel mehr wird, noch bevor es zum ersten, ausführlich beschriebenen Geschlechtsverkehr kommt, akkurat durchanalysiert.

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Auch Eileen, die als „Redaktionsassistentin“ (was soll das eigentlich sein?) bei einer Literaturzeitschrift arbeitet, ist in einem unklaren Verhältnis mit dem etwas älteren Politikberater und Elite-Uni-Absolventen Simon verstrickt. Bei beiden Paarkonstellationen verhält es sich wie bei denen in den beiden vorhergehenden Romanen: Es geht um Eigen- und Fremdwahrnehmung, darum, Schwächen nur dann zu zeigen, wenn der Wert der eigenen Person vom Gegenüber schon eine Mindestbestätigung bekommen hat. Die jungen Leute sind noch in der Identitätsfindung, da muss man als Leser auch geduldig sein.

Das Paarungsverhalten von Akademikern

Dennoch, das ist spätestens mit diesem Roman klar, entwickelt die Prosa Rooneys unweigerlich eine Anziehungskraft. Dieses ganze reif-unreife, altkluge und jungsmarte Dauerpalaver über Soziologie (wer darf sich eigentlich Arbeiterklasse nennen?), den Instinkt für Ästhetik (Alice: „Die Menschen haben ihn verloren, als die Berliner Mauer fiel“) und den Bereich des Amourösen hat etwas entwaffnend Präpotentes.

Sally Rooney:  „Schöne Welt, wo bist Du?“. Übers. v. Zoë Beck. Claassen. 352 S., 20 Euro
Sally Rooney: „Schöne Welt, wo bist Du?“. Übers. v. Zoë Beck. Claassen. 352 S., 20 Euro © ullstein | ullstein

Man hat die Haltung von Rooneys Figuren, die darin ihrer Urheberin folgen, „Lifestyle-Marxismus“ genannt. Das mit dem Lifestyle ist klar, denn darum geht es in den Büchern dieser Autorin immer explizit und implizit. Sie sind Berichte aus dem Leben der globalen Zwanzig-Irgendwas-Elite, die strebt, lebt und liebt, ohne je zu vergessen, wie viele Entfaltungsmöglichkeiten es gibt. Die Affinität zum Marxismus – die Romanfiguren Alice und Eileen sind seine lässigen, aber unambitionierten Parteigängerinnen – erschließt sich nicht von selbst, passt aber zur Grundhaltung der Frauen. Sie sind ermüdete Skeptikerinnen, die zwar den schlechten Zustand der Welt konstatieren, aber eh nicht an eine Besserung glauben, mit keiner Ideologie.

Die „Trivialität von Sex und Freundschaften“, siehe obenstehendes Zitat, ist aber weiterhin der Kern von Rooneys Werk. Mit starker Betonung schreibt diese psychologisch versierte Autorin über alltägliche Vorgänge; als sei das komplizierte Paarungsverhalten der Akademikerschicht wirklich der wichtigste Untersuchungsgegenstand der Welt. Sally Rooney, deren märchenhafter Erfolg am Ende eben doch nicht bis ins Letzte erklärbar ist, würde man eher wenig Ironie unterstellen, wie überhaupt Humor eine unterbelichtete Kategorie in ihren Büchern ist. Schwer vorstellbar, dass sie demnächst einen Greta-Roman über die Rettung der Welt schreibt. Aber ein bisschen verdächtig sind ihr die Selbstbespiegelung und die allgemeinen Dinge der Liebe eben doch.