Hamburg. Harbour Front Literaturfestival in Elbphilharmonie und Laeiszhalle: Eckart von Hirschhausen, Annette Dasch und Devid Striesow zu Gast.

„Die Elbphilharmonie setzt mit den Eierkartons an ihren Wänden ja auch voll auf Nachhaltigkeit“, kalauert Eckart von Hirschhausen direkt zu Beginn seines Auftritts im Großen Saal. Doch genau das ist die Kunst des wissenschaftlichen Entertainers. Er schüttelt sein Publikum mit einigen Lachern gut durch, um es dann umso empfänglicher zu machen für ernsthafte Erkenntnisse. In diesem Fall: für den Klimawandel. Für die Energie des Miteinanders. Und für die Kraft der Musik.

Das Harbour Front Literaturfestival kann diesen sehr vielschichtigen Sonnabendnachmittag direkt für zwei Programmreihen verbuchen: „Sounds“‟ und „Future“. Denn der Arzt, Autor und Moderator präsentiert nicht nur sein Buch „Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben“. Er verknüpft seine Gedanken zu Lebensstil und Umweltschutz zudem mit Musikeinlagen von Sopranistin Annette Dasch und Pianist Christoph Reuter. Das Ergebnis: Ein emotional und inhaltlich wilder Ritt, der Hirn und Herz ordentlich durchlüftet. Flapsig, tiefgängig, rührend, teils etwas überfrachtet, aber unterhaltsam.

Appell von Hirschhausen in in der Elbphilharmonie

Eine kluge Methode ist das, die Leute weder mit Weltuntergangsszenarien noch mit pädagogischem Zeigefinger dazu bewegen zu wollen, ihr Verhalten zu ändern. Hirschhausen setzt niedrigschwellig an. Sein Anspruch: „Nehmen Sie einen guten Gedanken mit nach Hause.“ Die Gedanken wiederum haben es durchaus in sich: „Wir brauchen eine wissenschaftsbasierte Politik“, erklärt er etwa – verbunden mit einem eindeutigen Appell, zur Wahl zu gehen.

Wie sehr der Mensch die globalen Zusammenhänge missachtet, macht er mit einer drastischen Frage deutlich: „Wer von Ihnen kackt regelmäßig in sein eigenes Wohnzimmer?“ Die Erde sei unser „living room“, unser Lebensraum, den es zu schätzen und zu schützen gelte. Er plädiert dafür, den Blick zu weiten. Über die Komfortzone und den eigenen Kiez hinaus. Und was kann dabei helfen? Musik zum Beispiel.

Gespräch zwischen Hirschhausen und Annette Dasch

Zusammen mit Christoph Reuter veranschaulicht Hirschhausen, wie Klang unser Dasein konstant begleitet. Stark, wie Reuter da den Pulsschlag anspielt, den das Baby im Mutterbauch hört. Und wie der Zyklus mit einem New-Orleans-Trauermarsch endet. Da steht das gesamte Publikum auf und stimmt unter den Masken ein in „When the Saints Go Marching In“. Ob aber Wolfgang Petrys „Wahnsinn („Hölle Hölle Hölle‟)“ tatsächlich der richtige Soundtrack ist, um die Teenagerzeit zum Klingen zu bringen, ist hingegen eher fraglich.

Um dieses existenzielle Medley sacken zu lassen (und um noch eine weitere Sinnesebene zu eröffnen), kommt Annette Dasch hinzu: Eindringlich interpretiert sie Natur-Oden von Schubert, Mahler und Schumann. Äußerst wahrhaftig auch das Gespräch zwischen Hirschhausen und der Sopranistin. „Beim Singen“, so erzählt sie, „da lösen sich meine Grenzen auf und ich bin sozusagen Sie alle.“ Eine wunderbare Verbundenheit.

Hirschhausen las zwei Kapitel aus neuem Buch

In diesem Geiste prophezeit Hirschhausen auch eine große Renaissance des gemeinsamen Musikmachens nach Corona. Ein kollektives Erlebnis, das sich der Verwertungslogik entziehe. Also letztlich eine Alternative zum Konsum. Eine Einsicht, die er – frei nach den Beatles – in ein musikalisches Mantra überführt: „All you need is less“. Alles was du brauchst, ist: weniger.

Gerne mehr gehört hätte man wiederum von seinem Buch. Hirschhausen las lediglich aus zwei Kapiteln – über sein Erweckungserlebnis mit Forscherin Jane Goodall sowie über die Sparsamkeit seines Vaters, die letztlich die beste Nachhaltigkeit sei. Die launig-inspirierenden knapp zwei Stunden münden schließlich in ein – beachtlich schönes – Duett von Dasch und Hirschhausen. In Louis Armstrongs „What A Wonderful World“. Die Erde, ein Wunder. Oder, wie Hirschhausen es formuliert: „Der einzige Ort mit Kaffee, Sex und Schokolade.“

Striesow und Weinzierl veranstalten Konzertlesung

Wie sich eigentlich eher schwere Kost unterhaltsam verpacken lässt, demonstrieren einige Stunden später, ebenfalls beim Harbour Front Festival, auch Schauspieler Devid Striesow und Schlagwerker Stefan Weinzierl. Bei ihrer Konzertlesung der „Blechtrommel“ bleibt zwar leider mancher Platz leer, doch wer in der Laeiszhalle dabei ist, erlebt einen eindrucksvollen Abend.

Devid Striesow bei der „Blechtrommel“-Konzertlesung in der  Laeiszhalle.
Devid Striesow bei der „Blechtrommel“-Konzertlesung in der Laeiszhalle. © dpa | Georg Wendt

Vor allem, weil Striesow gar nicht aus seiner Schauspielerhaut kann und die ausgewählten Passagen auch mimisch und gestisch begleitet – es ist gleichermaßen faszinierend, ihn zu hören und zu sehen. Selbst das profane Nachgießen ins Wasserglas bekommt da eine dramaturgische Bedeutung, und die Geschichte des Oskar Matzerath, der im Alter von drei Jahren beschließt, nicht mehr zu wachsen, hat ohnehin kein Verfallsdatum.

Lesung in Laeiszhalle macht Lust auf Klassiker

Seine Geburt, seine Fähigkeit, mit schriller Stimme Glas zerspringen zu lassen, der Naziterror, dessen Zeuge er wird, seine Liebe zu Maria, die den Vater heiratet, der Einmarsch der Russen nach Danzig: Striesow trägt all das mit solch Intensität, manchmal mit einem geradezu satanischem Witz, vor, dass man trotz der Länge des Abends (aus angekündigten 100 werden fast 140 pausenlose Minuten) gebannt jedem Wort lauscht.

Brillant auch die Begleitung durch Stefan Weinzierl, der sich über weite Strecken eher im Hintergrund hält und etwa am Vibra- und Marimbaphon für atmosphärische Verdichtung sorgt, statt seine Virtuosität in den Vordergrund zu stellen. Um so spektakulärer, wenn er dann doch mal die Blechtrommel knallen lässt. Ein Abend, der Lust darauf macht, den Günter Grass’ Klassiker endlich mal wieder zur Hand zu nehmen.

Harbour Front Literaturfestival: harbourfront-hamburg.com