Hamburg. Das Meisterwerk wurde auf einer großen Leinwand gezeigt. Das visuelle Erlebnis wurde mit Musik unterstützt.

„Retten Sie seine Hände!“, fleht die Frau des Pianisten Orlac mit weit aufgerissenen Augen und rauft sich dabei die Haare. Die Musik schwillt zu der Szene dramatisch an und unterstreicht die extreme Situation von Frau Orlac. Ihr Mann hat ein verheerendes Zugunglück überlebt, doch seine Hände wurden dabei zertrümmert. Sie sind der Mittelpunkt von Robert Wienes Stummfilm „Orlac’s Hände“ aus dem Jahr 1924. Auf großer Leinwand zeigte die Elbphilharmonie dieses Meisterwerk des Spätexpressionismus im Rahmen seines Sommerprogramms mit einem Soundtrack, den der Komponist und Dirigent Johannes Kalitzke 2018 für den Film komponiert hat und der sich deutlich von vorangegangenen Orchestrierungen von Wienes Werk abhebt.

Zusammen mit dem Ensemble Resonanz sowie den Pianisten Per Rundberg, Benjamin Kobler und Philipp Vandré führte Kalitzke seine „Partitur der Ängste“ im Großen Saal der Elbphilharmonie auf. Ein Leitmotiv seines expressionistischen Werkes hat der dirigierende Komponist dem Film entnommen: In einer Szene legt Hauptdarsteller Conrad Veidt Chopins Nocturne op. 55/2 auf das Grammofon, immer wieder taucht es in seinem 95 Minuten langen Stück auf. Wie man es vom Ensemble Resonanz gewohnt ist, folgt es dem Dirigenten mit äußerster Konzentration.

Film und Musik in Hamburger Elbphilharmonie

Dirigent und Orchester erweitern das visuelle Erlebnis mit differenzierter und dramatischer Klangfülle. Kalitzke hat es in seinem Stück jedoch vermieden, die Filmhandlung lediglich zu illustrieren. Seine Komposition taucht tief in das Seelenleben der Protagonisten ein, nimmt sich entsprechende Freiheiten und könnte auch ohne Wienes starke Schwarz-Weiß-Bilder als moderne Sinfonie bestehen.

Je länger Wienes Film läuft, desto mehr zieht er die Zuschauer in seinen Bann. Obwohl er die Zugkatastrophe überlebt hat, wird Orlac zunehmend paranoid. Der Chirurg Dr. Serral hat ihm die Hände eines hingerichteten Mörders angenäht. „Diese Hände werden nie wieder einen Menschen berühren dürfen“, schwört Orlac sich. Klavierspielen klappt nicht, seine ehemals gediegene Handschrift ist mit den neuen Händen nur Gekrakel.

Begeisterter Beifall in Hamburger Elbphilharmonie

Als dann noch Orlacs Vater erstochen aufgefunden wird und die Fingerabdrücke des Sohnes sich am Tatort finden, fallen der Pianist und seine Frau (Alexandra Sorina) in tiefe Verzweiflung. Wienes brillantes Spiel aus Licht und Schatten verbindet Psychodrama, Thriller und Horrorfilm zu einem äußerst spannenden Film der Stummfilm-Ära.

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Die Kraft der Bilder ist enorm, doch erst die Musik macht aus dem Abend ein überzeugendes Bild-Ton-Werk. Der anschwellende Klang der 18 Streicher verdeutlicht die Ängste der Protagonisten auf der Leinwand. Immer wenn die Pianisten einsetzen, findet der Zuhörer sich in Orlacs Kopf wieder. Am Ende gibt es begeisterten Beifall für Dirigent und Ensemble. Nicht immer geht die nachträgliche musikalische Untermalung von Filmen gut, Johannes Kalitzke ist sie für „Orlac’s Hände“ herausragend gelungen.