Hamburg. Der Hamburger Walter Wächter musste vor den Nazis nach Schweden fliehen. Sein Sohn erzählt die Geschichte in einem berührenden Buch.
„Der Mensch ist ein Wesen, das von Geschichten lebt“, sagt Torkel S Wächter. Und von diesen Geschichten, sehr persönliche sind es, hat der schwedische Autor für seinen „Dokumentarroman“, den vorzustellen er nach Hamburg gekommen ist, viele zusammengetragen. „Meines Vaters Heimat“, heißt das Buch, und die Heimat seines Vaters war hier, in Hamburg. Zu einer Zeit, die eine düstere war und die auch für die Familie Wächter bis heute nachwirkt.
Als Gegner der Nazis und Sohn eines jüdischen Obersteuerinspektors war Walter Wächter Verfolgung und Folter ausgesetzt, emigrierte schließlich nach Schweden und gründete dort eine Familie. Nach seinem Tod im Jahre 1983 fand sein Sohn kistenweise Dokumente aus der Zeit, über die sein Vater zu Lebzeiten nie sprechen wollte – das Rohmaterial für den biografischen Roman. Mit all den Schriftstücken beschäftigte er sich allerdings erst 17 Jahre später intensiver: „Als ich selbst zum ersten Mal Vater wurde, wusste ich: Es ist Zeit, die Kisten zu öffnen.“
Torkel S Wächter kam mit Familie nach Hamburg
Es war viel Material, vieles davon auf Deutsch geschrieben. Also lernte er die Sprache, die sein Vater nie wieder hören wollte und deshalb seinen Kindern auch nicht beigebracht hatte. „Ich bin mit einem gewissen Deutschland-Hass aufgewachsen, ohne so richtig zu verstehen, wieso“, erinnert sich Torkel S Wächter. Sein Vater hatte in Schweden sogar den Vornamen gewechselt, auch Walter wurde Michaël.
Wächter junior, inzwischen 60 Jahre alt, hat drei Söhne und eine Tochter. Mit allen ist er schon nach Hamburg gekommen. Sie haben sowohl die schwedische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Sein ältester Sohn, Jonatan, ist Schauspieler und hat an der Seite von Jan Josef Liefers im schwedischen Historienfilm „Simon“ gespielt, der vor zehn Jahren auch beim Filmfest Hamburg zu sehen war.
Wächter in Familiengeschichte eingetaucht
Die Familie von Walter Wächter lebte in den 20er-Jahren in Eimsbüttel, im Eppendorfer Weg 40. „Es war eine herrschaftliche Wohnung, die es dort aber heute nicht mehr gibt“, sagt Torkel S Wächter. Nach Hamburg ist er dieses Mal mit seinem jüngsten Sohn, Tobias, gekommen, und die beiden sind einigermaßen tief in die Familiengeschichte eingetaucht: Sie waren im Geburtshaus von Wächter senior in der Roonstraße in Hoheluft-West, an zwei Schulen, die er besucht hatte, in der Gedenkstätte für das Konzentrationslager Fuhlsbüttel und im Museum für Hamburgische Geschichte. Auch die Landungsbrücken und der Elbstrand durften nicht fehlen.
Und sie haben natürlich den Walter-Wächter-Sportplatz in Eimsbüttel besucht, auf dem der FC Alsterbrüder seine Heimspiele austrägt. Ursprünglich war dieser Platz nach dem deutschnationalen Dichter Gustav Falke benannt, doch die Vereinsmitglieder mochten sich nicht länger mit einem Mann in Verbindung bringen lassen, der für seinen Franzosenhass bekannt war, und fanden 2018 in Walter Wächter einen Ersatz, der gleich aus mehreren Gründen perfekt passte. Wächter senior war nämlich nicht nur ein Eimsbütteler, er war auch ausgesprochen fußballbegeistert und spielte in der Jugendmannschaft des HSV.
Walter Wächter musste in Konzentrationslager
Zur Geschichte des Walter Wächter, dem sein Sohn jetzt mit seinem Buch ein literarisches Denkmal gesetzt hat, gehört auch, dass dieser dem Naziterror nur knapp entronnen ist. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ kam er 1935 ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel und danach ins Zuchthaus „Das war ein Sammelvorwurf gegen alle, die das Nazi-Regime kritisierten. Damit konnte man Menschen ein paar Jahre im Gefängnis behalten.“
Wächter wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. Seine Großeltern Minna und Gustav deportierten die Nazis später nach Riga, wo sie ermordet wurden. Er selbst konnte das Zuchthaus nach Verbüßung der Haftstrafe im März 1938 verlassen und aus Deutschland fliehen. Nach einer Odyssee, die ihn durch viele europäische Länder führte, landete er schließlich in Schweden. Dort arbeitete er zunächst in der Landwirtschaft, nahm dann ein Psychologie-Studium auf und wurde schließlich Dozent am Institut für Pädagogik der Universität Stockholm.
„Das ist ein Buch für Hamburg“
Zudem schrieb er Zeitungsartikel, unter anderem Theater- und Filmkritiken. „Das Theater hat er geliebt und gelebt“, sagt sein Sohn, der bereits mit seinem Internet-Literaturprojekt 32Postkarten.com für Aufsehen gesorgt hatte – es zeigt Karten, die im Zweiten Weltkrieg aus Hamburg nach Schweden geschickt wurden. Sein autobiografischer Roman „Ciona“, den er 2002 unter dem Pseudonym Tamara T veröffentlichte, war sogar für einen schwedischen Literaturpreis nominiert.
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„Meines Vaters Heimat“ ist eine sehr lesenswerte Spurensuche und übrigens nicht auf Schwedisch erschienen. „Das ist ein Buch für Hamburg“, sagt Torkel S Wächter, es sei „eine Reise zurück zu unserer deutschen Familie“. Passend dazu heißt es im Buch: „Wir wagen einen neuen Anfang. Diesmal sind die Voraussetzungen besser. Wir sind wieder da.“