Hamburg. Ein neues Buch bietet eine umfangreich-amüsante Kulturgeschichte des Alkohols und stellt Brenner und Brauereien vor. Die Hintergründe.

Warum trinken Menschen Alkohol? Wie entwickelte sich dieses besondere Ritual um Bier, Wein und Schnaps, und wie veränderte es sich innerhalb der vergangenen Jahrhunderte? Diese und viele andere Fragen beantwortet, festgemacht an einer weit gefassten Region, das neue Buch „So trinkt der Norden“, herausgegeben von Jens Mecklenburg. Das Buch (erhältlich auch in der Abendblatt-Geschäftsstelle und auf abendblatt.de/shop) nähert sich dem Thema kulturwissenschaftlich, ist dabei aber bemerkenswert unterhaltend geschrieben.

Hinzu kommen die vielen Tipps: Brauer und Winzer geben Einblicke in ihre Arbeit, erläutern die Produkte, werben auch – allerdings unaufdringlich. Die Fakten, die das kundige Autorenteam um Jens Mecklenburg zusammen getragen hat, sind verblüffend, und sie werden locker präsentiert. Einige Beispiele: Um die Mitte des 14. Jahrhunderts gab es in Hamburg ungefähr 450 Brauereien.

Hamburg als wichtige Biermetropole

Die Stadt war damit die wichtigste Bierme­tropole des damaligen Deutschland und verdiente mit dem Bier-Export das meiste Geld. Dass heute in Dänemark Wein produziert wird, mag sich herumgesprochen haben. Aber wer kennt schon Cider aus Norwegen und finnischen Whisky? Man erfährt, wie „Tote Tanten“ getrunken werden, dass das Bockbier im Norden erfunden wurde und vieles mehr.

So warnte man einst vor den Folgen des Trinkens.
So warnte man einst vor den Folgen des Trinkens. © Müller Broders

Alkohol in Gesellschaft lockerte schon immer auf – auch die Menschen im Norden. „Wer den Deutschen nicht in der Kneipe kennt, wird seinen Esprit immer zu tief einschätzen“, schrieb der damalige Leiter der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, 1896. Das Buch macht aber auch deutlich, und das muss anerkannt werden, wie gefährlich der unkontrollierte Alkoholverkauf für eine Gesellschaft war und ist. Kaum zu glauben: Nach dem Siegeszug des Korns wurde Arbeitern in einigen deutschen Regionen bis zu anderthalb Liter Schnaps täglich zugebilligt. Zu den Folgen gehörten neben unzähligen Unfällen auch Massenschlägereien und andere schlimme Exzesse auf offener Straße. Ein „Noth und Hilfsbuch“ beschrieb Hausmittel gegen den Rausch: Kostprobe: „Um den Säufern das Weintrinken zu verleiden, soll man einen lebendigen Aal im Wein ersticken und sie davon trinken lassen.“

Alkoholmissbrauch trieb Sterberate in die Höhe

Der zunächst sehr laxe Umgang mit Getränken wie Aquavit und Gin brachte auch andere Länder an den Rand von Staatskrisen. Im London des frühen 18. Jahrhunderts überstieg die Sterberate durch Alkoholmissbrauch in manchen Jahren die Geburtenrate. Männer und Frauen tranken schon zum Frühstück Gin, der nicht mit dem eher milden gleichnamigen Getränk unserer Tage zu vergleichen ist. Ein Viertel aller Londoner war 1721 in irgendeiner Form an der Produktion von Gin beteiligt, 1500 halbwegs offizielle Destillerien gab es alleine in der britischen Hauptstadt.

Das Buch „So trinkt der Norden“ ist bei KJM erscheinen, hat 241 Seiten und kostet 22 Euro.
Das Buch „So trinkt der Norden“ ist bei KJM erscheinen, hat 241 Seiten und kostet 22 Euro. © KJM Buchverlag

Erst über acht (!) aufeinanderfolgenden politischen „Gin Acts“ gelang es schließlich, die Schnapsströme buchstäblich zu kanalisieren und das Land zu retten. Strenge Reglementierungen bewahrten ganze Kulturen vor dem Abgleiten in den kollektiven Rausch. Über Preissteigerungen und Kontrollen, Altersbeschränkungen und Suchthilfe-Angeboten konnte der „wilde“ Alkoholkonsum stärker zurückgedrängt werden. Und erst vor diesem Hintergrund entwickelte sich eine gepflegte und alles in allem auch maßvollere Genusskultur – nach dem Motto: „Nippen statt Kippen“. Sie wird im Serviceteil des Buchs vorgestellt.

Brauer aus dem Norden stellen sich vor

Fakt ist: Alkohol hat eine ganz eigene, interessante Kulturgeschichte – unabhängig davon, ob man ihn nun mag oder nicht. Und die Szene von Craft-Beer-Brauereien und Schnapsbrennern unserer Tage arbeitete hochwertig und auch besonnen – nicht zuletzt aufgrund strenger Vorschriften und hoher Auflagen. „Noch nie gab es so viele gute handwerklich produzierte Biere und Brände wie heute“, schreibt Jens Mecklenburg.

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Die Beweise dafür liefert das neue Buch: Die besten Brauer und Brenner Norddeutschlands stellen sich und ihre Erzeugnisse auf vielen Seiten vor – Adressen und Bezugsquellen inklusive. Von Bremen über Hamburg geht es bis nach Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen, und auch Brenner in Schweden, Irland und Finnland sind vertreten. Wer ihren Ausführungen nicht folgen kann, sollte sich bei Bedarf vor Ort umsehen, Gäste sind überall willkommen – und ein paar Proben gibt es natürlich auch immer. „Über die Gewohnheiten beim Essen und Trinken kann man erkennen und erklären, wie eine Gesellschaft tickt“, sagte Jens Mecklenburg bei der Vorstellung des neuen Buchs. Es liefere damit auch Einblicke in das regionale „Genusshandwerk“, das beim Stadt- und Landmarketing immer noch viel zu wenig Beachtung finde.

Produkte zeigen, wie Hamburg schmeckt

„Man braucht sich da nur auf den Internetseiten der Städte und Gemeinden umzusehen“, sagt Mecklenburg. „Da wird ständig auf die Globalisierung verwiesen und mit irgendwelchen Produkten geworben, die es genauso in Berlin, Dubai und New York gibt. Dabei haben wir sie doch alle hier – die handgemachten, individuellen Spezialitäten. Und die können wunderbar deutlich machen, wie die Ostsee schmeckt, wie Hamburg schmeckt, kurzum: wie der Norden schmeckt.“

Zu sehen (und probieren) gibt es viel – alleine beim Bier. Mit rund 100 Millionen Hektolitern ist Deutschland immer noch größter Bierproduzent Europas, gefolgt von England mit 45 Millionen Hektolitern. Dass man das Wasser zum Bierbrauen in Hamburg einst aus den verschmutzten Alsterfleeten entnahm, ist übrigens eine Mär. Das Wasser zum Brauen musste schon früher klar und rein sein.