Hamburg. Das Orchester spielte ohne Mindestabstand in der Elbphilharmonie – und füllt die Bühne wie vor Corona. Das Ende gerät zum Triumph.

Oh, wie ist das schön! So was hat man lange nicht geseh’n: Das Jerusalem Symphony Orchestra kommt in die Elbphilharmonie – und füllt die Bühne wie vor Corona. Weil alle Orchestermitglieder durchgeimpft sind, sitzen die 70 Musikerinnen und Musiker ohne Sicherheitsdistanz im Großen Saal.

So ein Anblick ist zunächst ungewohnt. Schließlich haben wir uns an Menschengruppen mit luftigen Abständen gewöhnt. Ein leichtes Unbehagen schleicht sich ein, ganz kurz, verfliegt aber sofort wieder, mit der Musik. Seine überwältigende Kraft entfaltet das Jerusalem Symphony Orchestra erst am Ende, bei Strawinskys „Feuervogel“-Suite. Aber was den herrlichen Sound eines vollen Orchesters ausmacht, ist schon vorher zu erleben.

Jerusalem Symphony Orchestra in der Elbphilharmonie

Das Programm unter Leitung von Steven Sloane beginnt mit dem Stück „Akeda“ von Noam Sheriff, entstanden im Andenken an den 1995 ermordeten israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin. Aus dunklen Liegetönen erwächst ein klagender Gesang des Englischhorns, der sich mit anderen Bläserlinien verzahnt und schließlich das ganze Orchester erfasst. Wie die Stimmen der Streicher ineinandergreifen: Das klingt einfach viel dichter, wenn 22 Geigerinnen und Geiger auf engem Raum zu einer kompakten Einheit verschmelzen können.

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Im Ausklang des Stücks flüstern die Orchestermitglieder das Wort „Pace“; die Piccoloflöte entschwebt in zarte Höhen und wird zur musikalischen Friedenstaube. Damit ist die Botschaft klar, die das Jerusalem Symphony Orchestra bei seiner Tournee im Gepäck hat. Zur Feier des Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ führt sie noch nach Berlin und Bochum.

Pianistin Elisabeth Leonskaja ist prominenter Gast

Prominenter Gast des Orchesters ist die Pianistin Elisabeth Leonskaja. Sie spielt das vierte Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven und beschenkt das Publikum mit einem Reichtum an Nuancen: Er umfasst die Tastenträumerei ebenso wie vollgriffige Akkorde, mit denen Leonskaja ihr eigenes Orchester modelliert.

Steven Sloane hält per Schulterblick Kontakt und folgt ihr konzentriert. Ganz so frei und präzise wie die Solistin wirkt das Jerusalem Symphony Orchestra hier allerdings nicht. Leonskajas wie improvisiert dahin gestreuten Start ins Rondo beantwortet das Ensemble etwas steif; die Unisono-Figuren im Andante könnten noch konturenschärfer gestanzt sein.

Der Große Saal der Elbphilharmonie bebt

Dafür gerät das Ende zum Triumph. In der „Feuervogel“-Suite von Strawinsky demonstriert das Orchester sein hervorragendes Niveau, etwa mit den hinreißenden Bläsersoli. Und Steven Sloane, der auswendig dirigiert, formt packende Spannungsbögen und Stimmungswechsel.

Beim Schlag der großen Trommel im Höllentanz bebt der Saal, das Wiegenlied schafft eine intime Atmosphäre – und im Finale entfacht Sloane jene kontrollierte Ekstase, die Strawinsky so genial inszeniert. Der gewaltige Choral der Blechbläser am Schluss geht durch Mark und Bein. Da ist sie endlich wieder in voller Pracht zu spüren: Die physische Wucht der Musik, die uns das Zwerchfell so schön durchmassiert.