Hamburg. Vorhang hoch für Alan Gilberts dritte Spielzeit: NDR Elbphilharmonie Orchester plant Saison, die an bisherige Konzepte anschließt.

Die Saison sei „durchaus herausfordernd“ gewesen. Als Untertreibung hat diese Formulierung, mit der NDR-Klangkörper-Manager Achim Dobschall den Präsentations-Gesprächskreis auf der Bühne im Herzen der Elbphilharmonie begann, ziemlich riesige Ausmaße. Aber: Es muss ja weitergehen, es kann nun, endlich, auch bald noch weiter gehen. Während der sirenenhafte Sog des wieder bespielbaren Konzertorts Elbphilharmonie sich erst wieder flächendeckend bei der Kundschaft verbreiten muss, war die Ausblick-Runde rund um Chefdirigent Alan Gilbert deswegen noch nicht ganz frei von leichter Ungläubigkeit.

Er selbst habe in Sachen Corona in den letzten Monaten nichts ausgelassen, berichtete er zunächst. Viele Aktivitäten, viel freie Zeit, viel Nachdenken, Aufs und Abs bei den Perspektiven, und dann – kurz vor der ersten Impfung – eine Opern-Probe in Stockholm zu viel. Er und danach seine Familie waren infiziert, für ihn folgten drei Wochen Krankenhaus. Doch nun: Vorhang hoch, Manege frei für Gilberts dritte Spielzeit.

NDR Elbphilharmonie Orchester: Manege frei für Gilberts dritte Spielzeit

Prägend für die nächste Saison ist die Auseinandersetzung mit Gilberts Heimat, den USA. Der Präsident, der ihn in „existenzielle Verzweiflung“ getrieben habe, ist abgewählt. Eine ideale Gelegenheit, um jetzt wieder die Ideale und insbesondere die musikalischen Traditionen zur Debatte zu stellen. Schon das Programm des Saisonstarts am 1. September ist rot-weiß-blau gefärbt, mit Best-of-Bernstein aus der „West Side Story“ und Gershwins „An American in Paris“ und erst recht mit dem Cellokonzert von Samuel Barber, für das Gilbert den Yoda unter den Cellisten gewinnen konnte, einen, der alles kann und den alle lieben: Yo-Yo Ma kehrt für einen Abend nach Hamburg zurück.

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Anfang Februar folgt ein Festival, für das der Beiname von Bernsteins 2. Sinfonie, „The Age of Anxiety“, Motto-Pate war. Gilbert dirigiert das Who’s who der amerikanischen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts: Barbers „Essays for Orchestra“ (Teil 2 übernimmt zwei Tage später die Bernstein-Schülerin Marin Alsop), das staatstragende „Lincoln Por­trait“ von Aaron Copland und Charles Ives’ riesig besetzte, exzentrisch-geniale Vierte. Einen Abend später folgt Cop­lands Dritte, ein Breitwand-Panorama aus musikalischer Americana, John Adams’ „Fearful Symetries“ und als Finale Bernsteins ebenjene, vorletzte Sinfonie. All das ist nicht nur als Nachhilfeunterricht gedacht, um beachtliches Repertoire auf dieser Seite des Atlantiks ein wenig bekannter zu machen, sondern auch als Betonung der Vielfalt und Weltoffenheit, die einst in die DNA der USA eingeschrieben wurde.

Über die Saison verteilt findet sich sehr viel Schönes und Prominentes

Ein Programm-Coup ist die über zwei Jahre gestreckte Verpflichtung von Esa-Pekka Salonen. Bevor der mehr und mehr in seine Arbeit als neuer Chef des San Francisco Symphony eingebunden wird, dirigiert er im Januar zwei NDR-Konzerte (Rameau, Berlioz, Eigenkompositionen und Ravel). Er ist aber auch als Komponist präsent, am prominentesten mit „Wing on Wing“ im Jubiläumskonzert zum fünften Elbphilharmonie-
Geburtstag am 11. Januar 2022. Jenem Stück, das Salonen für die Eröffnung der Walt Disney Concert Hall in LA schrieb, bevor er dort als Chef Wunder bewirkte. Aushänge-Namen wie Salonen über mehrere Jahre sind allerdings keine neue oder gar gewagte Idee: Bereits 2010 war Salonen, für drei Spielzeiten sogar, Residenz-Star im Konzerthaus Dortmund.

Über die Saison verteilt findet sich sehr viel Schönes und Prominentes: Die Sopranistin Renée Fleming kommt, aber nicht für Strauss oder Mozart, sondern für Messiaens „Poèmes pour Mi“. Yuja Wang ist Star-Solistin in einem Benefizkonzert des Bundespräsidenten, mit Liszts 1. Klavierkonzert. Der Dirigent Ingo Metzmacher und Pianist Pierre-Laurent Aimard kombinieren sich für ein französisches Programm mit Messiaen, Murail, Ravel und Debussy. Christiane Karg singt Mahlers Rückert-Lieder, Christian Tetzlaff spielt das Elgar-Violinkonzert. Emanuel Ax kommt für Brahms’ 1. Klavierkonzert, Gilbert dirigiert als konzertante Oper Dvoraks „Rusalka“ und als Musikfest-Eröffnung Haydns „Schöpfung“.

„Die menschliche Gemeinschaft bei Konzerten ist wichtiger, als was wir tatsächlich spielen.“

Einer der Solisten in Eislers „Deutscher Sinfonie“ ist der Bariton Matthias Goerne. Midori spielt die Uraufführung von Glanerts 2. Violinkonzert. Hübsche Idee: Mikko Franck (Finne) dirigiert César Franck (Franzose). Herbert Blomstedt darf nicht fehlen, für ihn ist Bruckner Sieben reserviert. Das Saisonfinale: Yefim Bronfman mit Bartóks 2. Klavierkonzert und – mit extragroßer Besetzung, weil es so schön laut ist – Strauss’ „Alpensinfonie“.

Viel business as usual also, scheint es. Und für die post-pandemischen Herausforderungen beim Entwerfen der Aufgaben eines Orchesters sollten zwei Aussagen Gilberts im Gedächtnis bleiben: „Die Idee der Flexibilität sollte erhalten bleiben.“ Und: „Die menschliche Gemeinschaft bei Konzerten ist wichtiger, als was wir tatsächlich spielen.“

Weitere Informationen: www.ndr.de/eo