Hamburg. Gedichte von gestern, Melodien von heute: Auf ihrem neuen Album singt das Hamburger Duo Fjarill Texte von zwei Nobelpreisträgern.
Die Kunst findet ihre Wege. Sie hat diese Kraft. Sie kann wachsen, sich verändern, sie kann sogar mit der Vergangenheit korrespondieren und neue Räume in der Gegenwart öffnen. So wie im soeben erschienenen gemeinsamen Album der schwedischen Sängerin und Pianistin Aino Löwenmark und der südafrikanischen Geigerin Hanmari Spiegel, die zusammen das Hamburger Singer-Songwriter-Duo Fjarill sind.
„Poësi“ heißt ihr aktuelles Werk, für das die beiden sich auf eine geradezu zärtliche Weise den Gedichten der Nobelpreisträger Pär Lagerkvist und Nelly Sachs genähert und eine musikalische Übersetzung dafür gefunden haben. Ein „Corona-Album“, sagen Spiegel und Löwenmark, entstanden in der „merkwürdigen kontemplativen Vakuumruhe“ der letzten Monate.
Fjarill mit neuem Album: Verse sind düsterer als ihre Vertonung
Mit Texten aus der Vergangenheit und Melodien aus der Gegenwart, wobei die Verse düsterer sind als ihre Vertonung. Löwenmark und Spiegel hatten sich schon in ihrem letzten Album, „Midsommar“, mit dem schwedischen Dichter Pär Lagerkvist beschäftigt. Eine Fundgrube, in die sie immer tiefer eintauchten. Ein ganzes Lagerkvist-Album war diesmal geplant – und doch bekam der Dichter unverhofft Gesellschaft.
Aino Löwenmarks Vater brachte die Musikerinnen auf die Schriftstellerin und Lyrikerin Nelly Sachs, die 1940 vor den Nationalsozialisten von Berlin nach Stockholm fliehen musste und fortan im Exil schrieb. „Nelly Sachs ist noch immer superbekannt in Schweden, eigentlich noch bekannter als Pär Lagerkvist. Und sie ergänzen sich so toll!“ Zwei Literaturnobelpreisträger, beide 1891 geboren, die vergleichbare Themen verhandeln, findet Löwenmark: „Welche Stärke entwickeln wir in schwachen Momenten? Leben wir intensiver im Angesicht des Todes?“ Fragen, die für viele Menschen im vergangenen Jahr zentraler wurden.
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Löwenmark singt auf „Poësi“ zum ersten Mal auf Deutsch
Für Aino Löwenmark ist es das erste Mal, dass sie auf Deutsch singt. „Ich hatte zuerst Angst, weil ich dachte, dass ich es nicht in der Tiefe spüren kann“, gesteht sie. „Aber es ist ja meine Alltagssprache!“ Mit ihrem Mann Jürgen Spiegel – Schlagzeuger und Bruder des Ehemannes von Fjarill-Partnerin Hanmari – spricht sie Deutsch, die Kinder wachsen zweisprachig auf.
Auch auf dem Album hört man beide Sprachen: Das sanfte, sehnsuchtsvolle „Hier nehme ich euch gefangen / ihr Worte“, das viel unbeschwertere „Glömma Glömma“, das innige „I hjaertats blomsterdalar“.
Releasekonzert für „Poësi“ in der Hamburger Katharinenkirche
Das Releasekonzert für „Poësi“ soll am 1. September in der Hamburger Katharinenkirche stattfinden. Mit Publikum, das jedenfalls ist die große Hoffnung des Duos.
Auch Fjarill hat in den schweren Corona-Monaten natürlich live gestreamt, eine Möglichkeit, für die die Musikerinnen zwar dankbar waren, die sie aber nicht lieben gelernt haben: „Ehrlich gesagt: Livestream-Konzerte sind das Grauen in Tüten“, seufzt Aino Löwenmark. „Man ist so verletzbar. Und es entsteht kein ,geschlossener Körper’ mit denen, die zuhören. Das Kollektiv, das man normalerweise ist, findet nicht zusammen. Wir brauchen einander aber, um Musik zu machen.“
Für „Poësi“ wagten sich Fjarill-Frauen an ein Crowdfunding
Das Kollektiv, das Publikum – auch für die Entstehung von „Poësi“ war es unerlässlich. Zum ersten Mal in ihrer Karriere haben die Fjarill-Frauen sich an ein Crowdfunding gewagt. Eine solidarische, zweckgebundene Spendenaktion, deren enormer Erfolg sie dann doch verblüfft hat – und gerührt: Innerhalb von nur drei Tagen kamen 10.000 Euro zusammen, das Ziel von 15.000 Euro ist mittlerweile weit übertroffen.
„Wir waren ganz geschockt und sooo erfreut!“ sagt Aino Löwenmark und Hanmari Spiegel beschreibt, wie fundamental die Wirkung auch jenseits der rein finanziellen Erwägungen für die Künstlerinnen war: „Das war wie eine positive Welle, die uns viel Kraft gegeben hat“, sagt sie. „Man hat endlich wieder so eine Wertschätzung gefühlt.“