Hamburg. ... wurde auf dem Lattenplatz vor dem Knust das Ende der Open-Air-Saison gefeiert. Ein feines Klassentreffen der Hamburger Musikszene.

„Es gibt nichts, was mir wie der Sound aus Hamburg gefällt“, singt Janina mit rauer Stimme. Lautstark schickt die Musikerin ihren Gesang über den Lattenplatz. Direkt in die Herzen und Magengruben all derer, die dick eingepackt vor dem Musikclub Knust sitzen, lauschen und jubeln. Ein letztes Mal noch Livemusik erleben. An diesem letzten Sonnabend im Oktober. Bevor der Sound aus Hamburg für mindestens vier Wochen verstummt. Zumindest vor real anwesenden Fans.

Dass ein Konzert wesentlich mehr ist als reine Unterhaltung, dass solch ein Erlebnis vielmehr seelisches Grundnahrungsmittel ist, das beweist die Künstlerin mit ihrem Auftritt eindrucksvoll. Um den 16. Geburtstag ihres Debütalbums „Yeah Yeah“ zu feiern, hat Janina ein feines Klassentreffen der Hamburger Musikszene arrangiert. Pop trifft auf Punk trifft auf Singer-Songwriter. Und statt Abschiedsmelancholie aufkommen zu lassen, zeigen sie alle noch einmal, wie vielschichtig und toll er klingen kann, der Sound aus Hamburg. Zwei Stunden gibt es das zu hören, was im November fehlen wird. Zuallererst das musikalische Miteinander.

Geschichten über Tanz, Trost und Tresennächte

„Ihr wisst ja, ihr seid Teil der Performance“, ruft Janina Richtung Publikum. Gerade hat sie zur akustischen Gitarre eine Ode an ihre Mutter gerappt. Die Sängerin ist eine, die im besten Sinne das Maul aufreißt. Die Menschen bewegt. Die sie euphorisiert und singend verbindet mit ihren Geschichten über Tanz, Trost und Tresennächte, über Sex und Sehnsucht.

Bunte Bühnenlichter werfen Farben auf ihre wasserstoffweißen Haare. Projektionsfläche Pop. Eine Leinwand für Wünsche, von denen wir noch gar nichts wussten. Wir brauchen die Kunst, um nicht nur unsere eigenen Filme zu fahren. Und spleenige Momente lüften den Kopf durch. Etwa wenn sich Musiker Knarf Rellöm zu Janina gesellt und ihren Song „Nachts um halb drei“ eigensinnig auf der Melodica begleitet. Als „charmantesten aller Ausnahmeliedermacher“ sagt Janina wiederum Bernd Begemann an – und stimmt mit ihm ein höchst amüsantes Duett über eine Affäre an. Für weitere Songs kommen zudem Gitarrist Magnus Landsberg sowie Catharina Boutari als Bassistin und Sängerin auf die Bühne.

Kritik an der Regierung

„Mich nimmt der Lockdown weniger persönlich mit, sondern vielmehr politisch“, sagt Boutari kurz vor dem Konzert. „Die Regierung hat im Sommer ihre Hausaufgaben nicht gemacht und keinen guten Stufenplan entwickelt. Jetzt sind wir wieder dran.“ Mit „wir“ meint sie die Kulturbranche, die das monatelange Improvisieren und Diskutieren leid ist und nun nachdrücklich Taten und Pläne fordert. Wie ein Soundtrack, um diese Wut zu kanalisieren, wirkt Janinas Abrechnungssong „123“. Auf Deutsch, Englisch, Französisch und Portugiesisch singt sie ihre Lieder. Eine Vielstimmigkeit, die uns aus dem allzu Vertrauten herausführt. Schräg, schön, inspirierend.

Tschentscher: Müssen den kompletten Lockdown verhindern

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Jenseits gängiger Abläufe bewegen sich seit Monaten auch die Hamburger Clubbetreiber. Spielstätten wie Molotow und Nochtspeicher veranstalteten dieser Tage ebenfalls die letzten pandemie-gerechten Shows vor dem zweiten kulturellen Lockdown. Wie viele Auftritte wird auch der von Janina von der Open-Air-Förderung unterstützt, die die Stadt Hamburg zu Corona-Zeiten eingeführt hat. Und die just am 31. Oktober endet.

Lesen Sie auch:

„Wir können’s nicht ändern“, sagt Knust-Mitbetreiber Dirk Matzke über die verschärften Pandemie-Maßnahmen. Doch er ergänzt schnell: „Wir wollen die Kultur nicht sterben lassen“. Alle für den November geplanten Clubkonzerte möchten sein Team und er per Stream realisieren. Bereits gekaufte Ticket
lassen sich in einen digitalen Zugang umwandeln. Die Bezahlung der Bands will Matzke zudem mit Hilfe des Gagenfonds aufstocken, den die Kulturbehörde gemeinsam mit dem Verein RockCity entwickelt hat. Damit die Künstler ein wenig aufgefangen werden. Und damit Hamburg eben nicht gänzlich still bleibt.

Für das vorerst letzte Open-Air-Konzert vor analogem Publikum hat das Knust die Besucherzahl noch einmal reduziert – von 250 auf 100 zahlende Zuschauer. Ausverkauft. Doch auch die – gesittet auf Abstand stehenden – Zaungäste zeigen sich solidarisch: Sie sammeln Geld und überreichen es der Künstlerin. „Ich zähle jetzt bis drei und dann will ich den Applaus Eures Lebens hören“, ruft Janina zum Schluss.

Tosender Beifall. Sehr laut. Das muss ja jetzt auch erst einmal eine Weile halten.