Hamburg. Kurz vor dem Lockdown feiert das inklusive Klabauter Theater trotz gedämpfter Stimmung Premiere mit Peter Handkes Theaterstück.
Eine eigenartig gedämpfte Stimmung herrscht im Klabauter Theater. Es ist Premierenabend, Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ sollte ab jetzt eigentlich häufiger zu sehen sein, aber der am Vortag beschlossene Corona-Lockdown trifft auch die Bühne in Borgfelde.
Klabauter Theater traurig über anstehenden Lockdown
Ein paar Tage wird noch gespielt, ab Wochenbeginn sind dann alle Aufführungen abgesagt. Freilich, man begrüßt die Maßnahmen im Haus – das Ensemble arbeitet inklusiv, die Künstler leben mit zum Teil schweren Behinderungen. Hochrisikogruppe, natürlich hat man da Verständnis. Trotzdem traurig.
Denn „Publikumsbeschimpfung“ ist ein Experiment. Die zweite Arbeit unter der neuen Klabauter-Leiterin Karin Nissen-Rizvani, nach dem noch von ihrer Vorgängerin Dorothée de Place konzipierten „Alle krank“ im Frühherbst.
Inszenierung des Duos Hüster und Aguilar
Inszeniert von dem weit über die freie Szene hinaus bekannten Duo Henri Hüster (Regie) und Vasna Aguilar (Choreografie). Und nach Becketts „Endspiel“ vor zwei Jahren die zweite Beschäftigung des Ensembles mit einem explizit als Theaterstück geschriebenen Text.
Seit letzter Spielzeit wird das Klabauter Theater von der Kulturbehörde als Privattheater gefördert, „Publikumsbeschimpfung“ ist entsprechend eine Ansage: Man will nicht primär als pädagogisches Projekt wahrgenommen werden, sondern als Theater wie jedes andere. Als Theater, das sich auch mit schwer zugänglichen Stoffen auseinandersetzen kann.
Kurze, intensive Tanzszenen bei "Publikumsbeschimpfung"
Und auch wenn diese Ansage durch Corona in den Hintergrund tritt: Publikumsbeschimpfung hätte das Zeug zur künstlerischen Standortbestimmung. Hüster verzichtet zwar auf seinen Hang zur Hermetik, die seine jüngsten Arbeiten am Lichthof Theater teilweise schwer zugänglich machten, bleibt aber einer der talentiertesten Formalisten, den man unter der jüngeren Regiegeneration finden kann.
Aguilar arrangiert das Ensemble in kurzen, intensiven Tanzszenen. Florian Polzin schafft mit Gitarre, Bass und Loopbox eine suggestive Musikuntermalung zwischen verträumtem Blues und harschen Metal-Ausbrüchen. Und die Klabauter? Die sind wie jedesmal wunderbar, rätselhaft, ironisch.
Komödiant im Rollstuhl trifft mädchenhafte Körperkünstlerin
Lars Pietzko: ein atemberaubend vielschichtiger Komödiant im Rollstuhl. Agnes Wessalowski, eine begnadete Rampenspielerin. Thea Sagawe, eine mädchenhafte Körperkünstlerin. Emily Willkomm, die mehrfachbehindert ist, ihren Körper kaum bewegen kann und dafür mit ihren Blicken ganze Geschichten erzählt.
Und, und, und: ein 14-köpfiges Ensemble, das sich perfekt in den Dienst der Inszenierung stellt, indem jeder Performer seine Eigenheiten beibehält.
Ein Theaterstück, das sich selbst hinterfragt
Und tatsächlich ist Peter Handkes 54 Jahre altes Stück eine dankbare Vorlage für dieses Theater zwischen Verinnerlichung und Formeroberung. „Publikumsbeschimpfung“ ist in erster Linie ein Nachdenken über das Theater und die Bühnensituation an sich, das sich in monotonen Sprechakten immer wieder selbst hinterfragt.
Wenn „Sie werden kein Schauspiel sehen“ skandiert wird, „hier wird nicht gespielt werden“, dann ist klar, dass von der ersten Sekunde an gespielt wird. Nur unter welchen Voraussetzungen? Und was heißt das überhaupt – spielen? Wer jetzt glaubt, hier einfach eine Absage an darstellerisches Virtuosentum herauszulesen, ist auf dem Holzweg: Die Klabauter sind sehr wohl virtuose Performer. Die nur ganz anders performen als man es gewohnt ist.
Höhepunktdramatik wird ausgebremst
Dem Abend zuzuschauen ist ein großes Vergnügen, ihm zu folgen allerdings nicht leicht: Schon Handkes Vorlage verweigert sich jeglicher Höhepunktsdramaturgie, immer wenn man einen Exzess erwartet, wird dieser ausgebremst: „Das Theater wird nicht entfesselt, das Theater wird gefesselt.“
Also hält man sich an die Schauwerte der Inszenierung: die individuellen Kabinettstückchen des Ensembles. Die eine Kulissenwand andeutende Bühne von Lea Burkhalter, mit roter Sonne und Neonschriftzug „Jetzt“, was vom Stücktext als „Diese Bühne stellt nichts dar!“ verspottet wird. Eine wunderbare Playback-Performance zu Jimmy Fontanas Italopop-Heuler „Il Mondo“.
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In einer zentralen Szene wendet sich Katrin Heins ans Publikum. „Das ist doch alles nicht so schlimm“, beschwichtigt sie (obwohl gerade, um ehrlich zu sein, gar nichts besonders Schlimmes passiert). „Es gibt viel Schlimmeres!“ „Was denn?“, fragt jemand aus der Menge. Und Heins antwortet: „Corona.“
Publikumsbeschimpfung wieder am 30. und 31. Oktober, 18 und 20 Uhr, Klabauter Theater, Jungestraße 7a, Tickets unter 253046313, www.klabauter-theater.de