Hamburg. Bei seinem Klavierabend sorgte Sokolov mit Mozart und Schumann für etwas akademische Strenge und ein leichtes Oberseminar-Aroma.

Als Grigory Sokolov dieses Programm vor einigen Wochen bei den Salzburger Festspielen zum Besten gab, ließ er sich durch nichts von seinem guten halben Dutzend Zugaben abbringen. Die Nachspielzeit wurde so fast zu dritten Programmhälfte. Und natürlich wurde ausgiebig genossen, dass alles so war mit ihm wie immer.

Es wirkte dort auch wie ein Statement gegen die Corona-Einschränkungen, die zwar um die 1000 Menschen im Großen Festspielhaus zuließen, aber darauf achteten, dass sich solche Konzerte, bei aller Liebe zum Ereignis, nicht allzu sehr in die Länge ziehen. Deutlich kürzer fiel das Zusatz-Sortiment jetzt bei Sokolovs Recital in der Laeiszhalle aus: drei Extra-Stücke, darunter, als eines seiner vielen signature pieces, Brahms’ Klavierstück op. 118/2 mit seiner sanften Tristesse. Danach: Licht an, fertig, schönen Abend noch.

Grigory Sokolov spielt selten gehörte Charakterstudien-Stückchen

Doch für diesen schönen Abend war bis dahin bestens gesorgt worden. Das Programm, typisch in seinem Hang zum leicht überraschenden Understatement, kombinierte er Mozarts Präludium und Fuge KV 394 (nicht direkt ein Publikumsliebling) zunächst mit der A-Dur-Sonate KV 331 (ganz unbedingt ein Publikumsliebling), um nach der Zwischenstation beim kunstvoll vernebelten a-Moll-Rondo KV 511 – die nächste kleine Sonderbarkeit – Schumanns „Bunte Blätter“ op. 99 aufzublättern. Ein sehr gutes Dutzend Charakterstudien-Stückchen, die man wirklich nicht oft in Konzerten hört, obwohl diese kurzen Tongedichte dringend dort hin gehören.

Nichts Besonderes, das alles, eigentlich, aber dann doch, genau deswegen. Denn aus der Karrierephase, in dem er virtuosenprankig auftrumpfen müsste, ist Sokolov längst raus. Überwältigen sollen andere, er will berichten und vertiefen, was sich wirklich lohnt. Und danach: Ist er unsentimental wieder weg.

Mit Mozarts Kontrapunktik in ein Konzert zu starten, sorgte für etwas akademische Strenge und ein leichtes Oberseminar-Aroma. Doch nachdem sich Sokolov im Präludium warmgespielt hatte, führte er mit gelassener Brillanz vor, wie gut er ein Stimmengeflecht transparent halten und melodisch im Fluss bleiben kann. Danach wurde es schlichtweg zauberhaft. Andererseits: Sokolov erst jetzt als Mozart-Veredler zu loben, hieße Kugeln nach Salzburg zu tragen.

In jedem Takt Bestaunenswertes aus einem Guss

Die ansonsten fast zu Tode verniedlichte A-Dur-Sonate entniedlichte Sokolov. Im Kopfsatz hier und da kleine, aber fein platzierte Rubato-Päuschen, um die Schönheiten der klassischen Symmetrie aufleuchten zu lassen, klangfarbliche Nuancen in den Themenverläufen, erlesen dahingetupfte Trillerchen, gereifter Respekt vor den schlichten, so gar nicht einfachen Tiefe dieser Musik.

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Und immer wieder diese raffinierten kleinen Überraschungsmomente in den Begleitfiguren der Linken, die aus den Schablonen aparte Ergänzungen zur Oberstimme machen können. Und das ansonsten nur putzige „alla turca“-Finale: Kindergeburtstag mit Ramba und Zamba, aber auch einem melancholisch-leisen Ausklang. In jedem Takt Bestaunenswertes aus einem Guss.

Ein trotzig in die Tastatur gehämmerter Geschwindmarsch

Bei den „Bunten Blättern“ legte es Sokolov darauf an, möglichst große Kontraste in den kleinen Spielräumen unterzubringen, die diese Einzelstücke boten. Er durchleuchtete sie als Bewusstseinszustände, die sich je nach Lichteinfall auf das Gemut ändern können. Harmonien, plötzlich auftauchende Ideen und ihr Verwerfen durch freies, immer auch verzweifelt und trostsuchend wirkendes Herumfantasieren.

Für Sokolov ein einsamer Zweikampf mit Leben und Tod, Abgründe taten sich auf. Schumanns Nr. 11., der „Marsch“, war bei ihm ein Trauer-Spiel, wie es Liszt, mit etlichen Vorzeichen mehr, kaum finsterer hätte schreiben können, und als Rausschmeißer ein trotzig in die Tastatur gehämmerter Geschwindmarsch. Große Kunst, vielsagend und doch ihre Geheimnisse wahrend.

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