Hamburg. Saison-Auftakt in Hamburg: Generalmusikdirektor Kent Nagano dirigiert zwei Programme mit spezieller Orchesteraufstellung.

Nur auf den ersten Blick erinnerte der Stuhlkreis an die Wagenburgen in Western-Klassikern, hinter denen sich Siedlerfamilien auf dem Weg nach Westen verschanzen, um nicht vom Pfeilregen eines erbosten Indianerstammes verschaschlikt zu werden.

Doch vielleicht, wer weiß das schon in diesen Zeiten, wird die Idee, mit der die Philharmoniker ihr erstes Abo-Programm dieser Spielzeit auf der Großen Bühne der Elbphilharmonie umorganisierten, bei anderen Orchestern Teil des Arrangements mit der Corona-Gegenwart werden. Schule machen. Alle um einen, einer für alle, das Dirigentenpodest als Mittelpunkt, verbunden mit der Aufgabe, Generalmusikdirektor Kent Nagano seine Wünsche nicht mehr von den Augen oder vom Taktstock abzulesen, sondern vom Profil oder auch mal vom Rücken.

Wagenburg: Symbolbild für den Zusammenhalt der Künstler

Akustisch war das stellenweise etwas eigenwillig – wenn Bläser deswegen präsenter oder verschatteter sind als vom Komponisten gedacht. Weil sich Einzelstimmen aufeinander ausrichten statt gemeinsam als Mischklang in den Saal hinein zu wirken. Doch mit der größeren Nähe umgingen die Philharmoniker, dass Einzelnen durch die Abstandsregeln das gefühlte Zusammenspiel erschwert wird.

Und, viel wichtiger noch als alle akustische Umgewöhnung, weit entfernt von einem echten Problem: Es war auch ein starkes Symbolbild für den Zusammenhalt einer Solidargemeinschaft, die Künstlerkollektive nun mehr denn je sein müssen und wollen.

Sieben Monate nach dem letzten Philharmoniker-Konzert vor Publikum begann der Abend mit einer klug programmierten Rückblende an jene Vergangenheit, in der eine andere Pandemie, die Spanische Grippe, viele Opfer gefordert hatte. Hindemiths Kammermusik Nr. 1, 1922 in Donaueschingen uraufgeführt und damals ein fröhliches Skandälchen, ein Zeit-Stückchen des Umbruchs, der Neu-Orientierung, der Suche nach Ausdruckserweiterungen und Freiheiten.

Konzert in Elbphilharmonie kam in zwei Programmen daher

Gut ein Dutzend Instrumente klein und entsprechend überschaubar und transparent und für Nagano eine Visitenkarte der klassischen Moderne, die gezückt und gehört gehört. Hindemith hatte zwar noch nicht den ironischen Biss, den man in Weills aufgekratzteren Arbeiten jener Jahre hören konnte, doch die Feinzeichnung, die Nagano aus dem knappen Dutzend Stimmen herausholte, hatte interessanten Charme. Insbesondere der tristtrübe langsame Satz mit seinen Holzbläser-Soli war ein raffinierter Kontrast zum sprunghaften Gewusel, das die anderen Sätze prägte und im Aufjaulen einer Sirene als Schluss-Streich endet.

Nächste Besonderheit dieses Abends war die Aufsplitterung, in ein Programm A in der ersten und ein Programm B in der zweiten Runde. Ein organisatorisch aufwendiges Sonder-Angebot zum Wiederdasein, dass sich aber bei den Planungen für die Saison wohl so nicht ständig wiederholen lässt. Publikum A erlebte eine großartige Verkleinerung, Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ in der Bearbeitung von Schönberg, die der in Wien für seinen Spezialisten-„Verein für musikalische Privataufführungen“ arrangiert hatte.

Noch nicht einmal ein Dutzend Instrumente, bei aller Bewunderung für die Schrumpfung kein Ersatz für das opulent orchestrierte Original. Aber, schmerzhaft, eine Andeutung dessen, was wie ein Partitur-Phantom in der Erinnerung mitklingt. Eben nicht nur die Miniatur.

Auch klitzekleiner Mahler ist besser als gar kein Mahler

Das „Feld“, über das Mahlers Geselle am Morgen geht, ist so höchstens noch ein Beet, das „glühend Messer in der Brust“ nur noch ein Taschenmesserchen. Andererseits: Auch klitzekleiner Mahler ist immer noch besser als kein Mahler. Und mit Julian Prégardien stand ein Charakter-Darsteller zur Verfügung, dessen klarer, heller Tenor unangestrengt passte.

Runde B brachte Ligetis 2001 im Liebermann-Studio uraufgeführtes Hornkonzert zurück in die Stadt. Solistin, damals wie heute: Marie-Luise Neunecker. Ein großes klangsinnliches Vergnügen. Ligeti hatte die Stimmen des Solo-Horns immer wieder haarfein knapp über die Passagen der vier unterstützenden Orchester-Naturhörner geschoben, so entstanden faszinierende Reibungen und Verfremdungen, die das Kammerorchester nicht als Zumutung nahm, sondern als Herausforderung.

Klassischer Schlussstrich war bei beiden Programm-Varianten die Fünfte von Schubert. Mit nur sehr wenigen Bläsern coronakompatibel, mit nur verhaltenem Wagemut aber auch eine eher gediegen dahingespulte Angelegenheit, bei der die Philharmoniker, obwohl sie im Stehen spielten, oft so klangen, als säßen sie. Und das sehr bequem.

Nagano-Termine: Sonderkonzerte in der Staatsoper: 3.10., 11 Uhr, Pelecis’ „Meeting with a friend“, Mozarts Klavierkonzert KV 414, Dvoraks E-Dur-Streicherserenade. Paul Lewis (Klavier), Konradin Seitzer (Violine). 4.10., 11 Uhr: Mozarts KV 414, Schuberts „Tod und das Mädchen“ (Bearbeitung G. Mahler). 9.10., 20 Uhr, Elbphilharmonie, Gr. Saal: Sonderkonzert Beethoven: „Coriolan“-Ouvertüre, „Ah! Perfido“, 2. Sinfonie. Pretty Yende (Sopran) Evtl. Restkarten.