Hamburg. Beim Live Art Festival kommt man mit dem Performance-Schnelldurchgang “Europe to go!“ weit herum. So können Sie mitmachen.
Reisen? Stimmt, da war doch mal was. Flug buchen oder Zug, Koffer packen, unterwegs sein und weg, ankommen, und dann mit einem Guide dorthin, wo absolut und immer alle hinwollen. Weil man das ja unbedingt gesehen, betreten, erlebt haben muss. So in etwa war das bis vor einigen Monaten. Eine „Flugscham“-Debatte und einen weltweiten Pandemie-Ausbruch später bleibt: Genügsamkeit, zu Hause bleiben.
Da Kampnagel sich nun auch als eine Art Reisebüro für leicht verschrobene Illusionen versteht, gibt es dort jetzt die Möglichkeit, rund um Kampnagel herum eine etwas andere Rundreise zu unternehmen, fußläufig sogar. Über ein Dutzend Länder, keine zwei Stunden. Und weil Kampnagel das organisiert hat, ist schon vor der ersten Etappe Schluss mit pauschal.
Reisen auf Kampnagel: "WIr unterhalten euch nicht"
„Das ist kein Theater, das ist keine Performance, bitte keine Erwartungen, wir unterhalten euch nicht.“ Boris, bunte Hose, kein Regenschirm mit Flatterband als Signalmast. Stimmt nicht ganz, ist aber als launiger Einstieg in den nur zu denkenden Touri-Bus ganz schön, weil Boris Mitglied der Wiener Theater-Performance-Gruppe „God’s Entertainment“ ist.
Manche in der 20-Personen-Reisegruppe kichern bei diesem Beginn in sich hinein. Es soll ja hoffentlich doch anders sein, während Mit-Guide Maja – links ein österreichisches Dosenbier in der Hand, rechts den tragbaren Lautsprecher für die leicht mit Schmäh versetzten Ansagen – berichtet, warum der Kampnagel-Vorplatz gerade „Susan Sontag Platz“ heißt.
Zum Warmwerden mit der Situation spazieren wir also die Jarrestraße hinunter, vorbei an verdutzten Einheimischen, bis es mit einer Gedenktafel für die mahnende Publizistin Hannah Arendt den nächsten gut gesetzten Stör-Moment gibt.
Von Winterhude nach Venedig
Rechts rein, Richtung Johannes-Prassek-Park, während Maja etwas Optimismus verteilt: „Wir haben ernst begonnen. Aber es wird noch lustiger.“ Stimmt ja auch, denn nach mittellustigen Stationen bei einem Nachbau der Kapitolinischen Wölfin, Rom-Double, ein Verweis auf Romolus und Remus, die wenige Meter weiter als queer und irgendwie transgender geoutet werden, geht es an den Kanal.
Und Kanal natürlich nicht bloß Winterhude, sondern gleich Venedig. Ein Abstecher Richtung Peggy Guggenheims Kunstsammlung, zu Marinis „L’Angelo della Città“. Wer mag, kann da den berühmten, sehr waagerechten Penis ab- und ein anderes Modell anschrauben. Ein bisschen Off-Theater-Klimbim darf es also schon auch sein.
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Danach folgt eine Runde Zungen-Aerobic mit Boris für die mitreisenden Paare. Die Sieger können in einer rein zufällig vorfahrenden Gondel Platz nehmen und eine Runde gedreht werden, während aus Boris’ Smartphone „O sole mio“ von der Kanalbrücke plärrt. Madonna, ist das schön. Wer braucht bei so viel echter Romantik noch das Original.
Doch es geht auch ernster. Auf einem Randhügelchen des Parks steht engelsgeduldig eine Marien-Statue. Die Marien-Erscheinung von Medugorje, im Original ein Wallfahrtsort in Bosnien-Herzegowina. Und vor der Statue ein Tisch und eine Frau und Devotionalien. Dass hier, in Sichtweite eines Basketball-Felds und in der Nähe von Schülerinnen, die Kickboxen üben, Glaube und Krieg und Ewigkeit thematisiert werden, ist für einige Momente ernsthaft anrührend.
Christiana? Ein ramponierter Kleinbus
Nicht alle Stationen machen so viel her, wie man es sich hat versprechen dürfen. Doch auch das ist ja nur wie im wahren Leben im Touristen-Modus, wenn das tolle Geheimtipp-Restaurant überteuerten Fraß anbietet. Christiana? Ein ramponierter Kleinbus.
Kurz davor hatte ein nicht ganz echter Archäologe das Mitgraben angeboten, um die Schätze von Palmyra aus Hamburger Erde herauszubuddeln. Der Subtext: In Syrien ist Krieg, hier Frieden. Eine Moscheen-Spardose kreist, wer mag, kann für die Ausgrabungskosten spenden.
Die Aktion „The artist is present“ fand zwar nicht in Europa, sondern im New Yorker MoMA statt, doch zehn Jahre später auch in einer leeren Kampnagel-Seitenhalle. Wir haben 2020 und Corona, „the audience is absent“, sagt Boris. Also ist es nur einer Person vergönnt, Platz zu nehmen vor der Marina-Abramovic-Puppe. Alle anderen müssen draußen bleiben, als Kunst-Voyeure vor den Fensterscheiben kleben. Handy-Fotos gehen aber immer.
La Rambla, Amsterdamer Rotlichtbezirk und Jim Morrisons Grab
Vorbei an der Prager Kafka-Statue biegen wir ein in die Zielgerade, eine Kreuzung aus der aufdringlich nachgespielten Shopping-Meile La Rambla in Barcelona, wo Händler plump gefälschte Markenware anbieten, und dem Amsterdamer Rotlichtbezirk. Rotlichtbezirk? Da war doch auch mal was.
Direkt daneben hocken Zier-Punks vor dem Pariser Grab von Jim Morisson, nur wenige Schritte weiter wartet ein weiterer Sehnsuchtsort für Gegenwartskunst, das Operndorf von Christoph Schlingensief in Burkina Faso. Fast jedenfalls. Aber wir lernen, dass die Ziegel dort aus Wasser, Lehm, Zement und ganz viel Liebe hergestellt werden. Klappt aber nicht immer im ersten Anlauf, das lernen wir auch.
Am Ende gibt's einen Wiener Würstelstand
Es dämmert, wir sind durch durch ganz Europa, ganz ohne Blasen an den Füßen. Absacker-Tanke und Belohnung für die Ausdauer ist die detailrustikale Kopie eines Wiener Würstelstands.
Und da Platz für Subversion auch im kleinsten Idyll sein kann, zeigt das Laufband am Stand-Dach auch nicht die Tagespreise für die Delikatesse Käsekrainer, sondern fordert, mit Telefonnummer, auf: „Spenden Sie für Österreichs Sicherheitsbunker!“
God’s Entertainment: Europe to go!“ Für den 21. Juni, 19 bzw. 21.30 Uhr, gibt es noch Karten. Es ist aber auch möglich, einen Wegweiser auf www.kampnagel.de herunterzuladen und den Rundgang allein zu machen. An jeder Station sind Tafeln mit einem QR-Code, der über das Smartphone Zusatzinformationen gibt.