Hamburg. Das Kollektiv Geheimagentur bringt beim Live Art Festival analoge Shows direkt zum Zuschauer. Was erwartet die Besteller erwartet.

„Wenn der Postmann zweimal klingelt“, das war – mit dem jungen, wilden Jack Nicholson und der geheimnisvollen Jessica Lange – vor fast vier Jahrzehnten ein hocherotisches US-amerikanisches Filmdrama, beruhend auf dem gleichnamigen Roman von James M. Cain. Was aber wenn der Paketbote heutzutage mal wieder ein Päckchen nach dem anderen liefert? Und dann gemeinsam mit dem Empfänger schaut, was eigentlich drin ist im Karton?

Es fängt ja schon beim Öffnen und Auspacken an. Parallel, möglichst synchron ziehen zwei sich gegenüberstehende Männer die Klebestreifen zweier Kartons ab. „Nun der zweite Teil der Partitur“, sagt der eine, ausstaffiert mit pinkfarbener Mütze und beiger Uniform. 45 Sekunden rascheln sie mit dem Klebeband – und weg damit. Dann schütteln beide die Kartons, holen genoppte Klarsichtfolien raus, lassen es knistern und knacken, erzeugen mit um die Kartons gespannten Gummibändern immer neue Töne, sogar einen Rhythmus. „Soll ich dir die Partituren schicken?“, fragt der Bote schließlich den Empfänger. „38 Minuten!“, ruft eine dritte Person. So lange hat sie insgesamt gedauert, diese musikalische Performance, genannt „Cage Box“.

Eine Tänzerin steckt im Karton

Was Anfang dieser Woche noch im dritten Stock der Fa­brique im Gängeviertel geprobt wurde, ist jetzt Teil des Live Art Festivals auf Kampnagel. Dessen zehnte Auflage in der Winterhuder Kulturfabrik steht diesmal unter dem Motto „#Ziviler ­Gehorsam“ und möchte bis zum 21. Juni insbesondere analoge künstlerische Möglichkeiten unter Corona-Bedingungen zeigen. Weil laut Senatsbeschluss weiterhin nur Aufführungen vor bis zu 50 Menschen im Freien erlaubt sind, bietet die Geheimagentur, wie sich das Künstlerkollektiv nennt, ein halbes Dutzend unterschiedlicher Live-Performances für zu Hause.

Ihr „Unboxing Unboxing“ getauftes Projekt hatten die mindestens acht Performer, die ihre Namen aus Prinzip und Gleichheitsgründen nicht nennen wollen, schon vor der Corona-Krise ersonnen. Die Erfahrungen bei den Hausbesuchen wollten sie ursprünglich in einer Live-Show am 14. Juni in einer der Kampnagel-Hallen vor Publikum weiterentwickeln. Die entfällt nun.

Die meisten der Live-Boxen sind bereits ausgebucht

Stattdessen liefern die Boten der Geheimagentur bis zum Wochenende Performances nach Hause – nicht etwa als Livestream, sondern direkt vor die Tür und auf Wunsch auch als Live-Show zum Auspacken ins eigene Wohnzimmer, wie bei der Probe mit Mund-Nasen-Schutz und mit 1,50 Meter Abstand. Und man höre und staune: Die meisten der Live-Boxen zum Preis von jeweils 20 Euro sind bereits ausgebucht.

Für die „Private Dancer Box“ verschwindet bei einer weiteren, hier nur angedeuteten Fabrique-Probe im Gängeviertel eine Tänzerin mit dem Schriftzug „Belly“ auf dem Shirt in einem 2,50 Meter hohen Karton. Wenn ihr Bein herausragt, steht darauf das Wort „Leg“. Die Botin hat ihren Liefer-Job mit Sackkarre bereits erledigt. Eine andere, etwa ein Meter hohe Kiste, führen die Kollegen der Geheimagentur vor, kann sogar sprechen: „Herzlichen Glückwunsch zur Bestellung der ,Love Box‘“, hallt es aus der Kiste, sogleich verbunden mit einer Warnung: „Achtung, ich bin Gefahrgut, nicht öffnen!“ Dass die Box aus Kiefernholz ist, erfährt der Empfänger auch, Fragen stellt die Kiste ebenfalls: „Bist du eher der offene oder verschlossene Typ?“

Bei all diesem Charme und dem Angebot von Hochprozentigem in der „Bar Box“ – sie kommt für die Dauer der Performance mit einem Barkeeper, einem Tresen und drei verschiedenen alkoholischen Drinks an die Haustür – wollen die Mitglieder der Geheimagentur auch Hintergründe über Herkunft und Lieferketten der Zutaten offenlegen.

Seit fast 20 Jahren existiert das Performance-Kollektiv

Schon seit fast 20 Jahren existiert das Performance-Kollektiv, es ist regelmäßig auf Kampnagel präsent. Beim Internationalen Sommerfestival 2017 etwa hat sich die Geheimagentur für das Projekt „Free Port“ im Baakenhafen in der HafenCity mit globaler Logistik und Warenströmen befasst. Jetzt folgt die künstlerische Weiterentwicklung: Welche Rolle spielt unser öffentlicher Raum noch? „Wir drücken auf irgendeinen Knopf, und dann wird uns ein Paket nach Hause geliefert“, sagt eine Performerin. Heißt: Die Menschen bewegen sich immer weniger und die Dinge immer mehr.

Bürgermeister und Senat über den Corona-Stand in Hamburg:

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Was aber bedeutet es, wenn Menschen zu Hause bleiben und über immer mehr Online-Bestellungen immer mehr Waren auf die Reise schicken? Verbindet uns der Online-Handel indirekt mit anderen Menschen, mit Ressourcen, mit anderen Orten auf dieser Erde?

Fragen, die in und nach der Corona-Zeit aktuell sind und es bleiben werden. Womöglich gibt ja die „Utopia Box“ erste Antworten. Die hat die Geheimagentur außer der „Box of Boxes“ auch noch im Bestellkatalog. Obwohl der ja keine Massenware bieten soll. Die Performance-Gruppe wird mit ihrer neuen Arbeit selbst zum Versandgegenstand.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden