Hamburg. Alles ordentlich gesungen und getanzt – aber die 20er-Jahre-Revue bleibt auf Kampnagel eine Nummernrevue ohne wirkliche Erzählung.

Die Damen in Paillettenkleidern und mit Federschmuck im Haar neben den Herren in Hosenträgern mit Hut wirken im Kampnagel-Foyer ein wenig wie aus der Zeit gefallen. Aber Berlin ist in. Heute ist es arm, aber sexy. In den 1920er-Jahren war es auch arm, aber reich an Unterhaltungskunst. Davon erzählt „Berlin Berlin – Die große Show der Goldenen 20er Jahre“, die derzeit auf Kampnagel gastiert.

Die von Christoph Biermeier verfasste und inszenierte Revue bemüht sich um Stilechtheit und Zeitkolorit. Das Bühnenbild fällt da zunächst erstaunlich sparsam aus mit Showtreppen, Leuchtsäulen, einem glitzernden Sternenhimmel und etwas Art-déco-Schrift. Es gibt den glamourösen, textilarmen Tänzerinnen Raum, die den Mythos vom verruchten, obszönen Berlin der Zwischenkriegsjahre in aparten Choreografien von Matt Cole neu beatmen.

Wir befinden uns im Admiralspalast, seinerzeit das Epizentrum des Amüsements. Hermann Haller hieß der Mann, der ab 1923 hier Shows produzierte, die Titel trugen wie „Drunter und Drüber“ oder „An und Aus“. In der Figur eines Conférenciers, der hier „Der Admiral“ genannt wird, lebt diese historische Figur wieder auf. Bei Martin Bermoser erinnert er allerdings an einen Schlagersänger mit Fönwelle. Leider muss er auch in jedem zweiten Satz betonen, wie unfassbar cool dieser brodelnde Hexenkessel Berlin doch ist. Ach, „der Bauchnabel der Welt“. Als ob wir das nicht wüssten.

„Berlin Berlin“: Eine Nummernrevue ohne Erzählung

Seine bemühte Moderation wird von sehr ansehnlich performten Show-Einlagen unterbrochen, auch wenn die erst mal ziemlich unberlinerisch daherkommen. Es erklingen nämlich amerikanische Jazz-Standards, die zu Zeiten der Weimarer Republik echte Gassenhauer waren. „Puttin’ on the Ritz“ etwa, „Let’s Misbehave“ oder „Money Makes The World Go Round“. Schmissig interpretiert werden sie vom achtköpfigen, auf der Hinterbühne musizierenden Berlin Berlin-Orchestra unter Jeff Frohner. Die Spielszenen kommen daneben nicht recht in Gang. Das liegt auch daran, dass „Berlin Berlin“ eine reine Nummernrevue ohne wirkliche Erzählung ist.

Ein armer Berliner (Sebastian Prange) mit verpatzter Kleinkriminellenkarriere sucht da sein Glück im Unterhaltungssektor, reüssiert dann aber erstaunlich gut beim Lach-Foxtrott mit dem Publikum in einer Pausenclown-Nummer. Nach und nach haben auch die Göttinnen der Zeit ihren Auftritt. Marlene Dietrich zu imitieren ist immer eine heikle Aufgabe. Nina Janke macht ihre Sache im glitzernden Hosenanzug ziemlich ordentlich. Ein Reinfall ist dagegen eine dümmliche Parodie auf Kurt Weill und Bertolt Brecht. Weniger schlimm ist, dass es die Revue historisch nicht ganz genau nimmt, die Couplets aus dem Musical „Cabaret“ spielen zwar in den 1920er-Jahren, das Musical feierte aber erst 1966 seine US-Premiere.

Star des Abends ist Sophia Euskirchen. Gesegnet mit rauer Stimme und dicker Lippe, gibt sie die dauerkoksende Lasterkönigin der Nacht, Anita Berber, der der Absynth bis zu ihrem frühen Tod nur so durch die Adern rauscht. Berber macht ihre Sache auch überzeugend als Marlene Dietrichs Freundin Margo Lion beim Duett „Wenn die beste Freundin“. Nach der Pause kommen die Comedian Harmonists mit einem gekonnten Hit-Medley zum Zuge. Und als Höhepunkt darf Dominique Jackson als Josephine Baker ihr Bananen-Röckchen schütteln und noch so manchen Hit schmettern. Wie gesagt, alles ordentlich gesungen und getanzt.

Das Publikum ist aus dem Häuschen

Zuvor allerdings wird es doch richtig seltsam. Da trägt das Ensemble auf einmal Dirndl und Lederhosen und es erklingt Benatzkys „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“. Das war zwar 1930 ein Hit in Berlin, passt aber so gar nicht in eine Berlin-Show, auch wenn Sophia Euskirchen auch toll jodeln kann. Anschließend muss Sebastian Prange seine Lach-Animation noch einmal aufwärmen.

Der zweite Teil will die champagnerselige Ekstase aber nicht auf die Spitze treiben, sondern es wird historisch ernst und das wiederum tut der Show gut. Denn auf einmal verdeckt eine riesige Hakenkreuzfahne die Bühne. „Irgendwo auf der Welt“ singt das Ensemble nur mehr als Schatten. Und es ist folgerichtig, auch in einer Unterhaltungsshow an die Kehrseite der Goldenen 20er-Jahre zu erinnern.

An die Armut, die Depression nach dem Ersten Weltkrieg, schließlich den Untergang der Weimarer Republik und damit der Demokratie. Die radikalen Auswirkungen einer totalitären Nazi-Herrschaft enden nicht beim Schließen eines Amüsierbetriebes. An sie zu erinnern – wenn auch wie hier etwas grob geschnitzt – ist eine auch heute passende Mahnung.

Das Schlussbild liefert sie nicht. Der aktuelle Hype um Berlin ist natürlich auch der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ zu verdanken, deren dritte Staffel zur Zeit auf Sky läuft. Die darin eine zentrale Rolle spielende Amüsierbude Moka Efti dient als Inspiration. Und so ist das Publikum vollends aus dem Häuschen, wenn nach dem aufziehenden Schrecken mit der Serien-Melodie „Zu Asche, zu Staub“ noch einmal aus vollem Herzen die Unsterblichkeit besungen wird.

„Berlin Berlin – Die große Show der Goldenen 20er Jahre“ bis So 16.2., jew. 19.30, Kampnagel, Jarrestr. 20-24, Karten ab 39,90 Euro unter T. 450 118 676