Hamburg. Der Bariton widmete den Liederabend in der Laeiszhalle dem Schaffen von Gustav Mahler und begeisterte mit gewaltiger Stimme.

Kann man Töne mit der Stimme streicheln? Diese Frage schoss einem durch den Kopf, als Christian Gerhaher seine erste und einzige Zugabe begann, Gustav Mahlers „Urlicht“ – und dabei die erste Zeile „O Röschen rot“ so zart, so überirdisch schön sang, wie es nur den wenigsten Menschen gelingt. Ein sanfter Stich ins Herz, in die Drüse, wo die Tränen sitzen.

Dass es so wunderbar enden würde, war nicht unbedingt abzusehen. Gerhaher sei gerade erst von einer schweren Erkältung genesen, hatte Christoph Lieben-Seutter zu Anfang auf der Bühne der Laeiszhalle verkündet. „Aber ich bin sicher, davon werden sie nichts merken“, hoffte der Intendant, und sollte damit über weite Strecken Recht behalten.

Gerold Huber begleitet den Bariton am Klavier

Auch mit gesundheitlichem Handicap demonstrierte der Bariton seinen Ausnahmerang. An einem Liederabend in der Laeiszhalle, den er und sein langjähriger Klavierpartner Gerold Huber ganz dem Schaffen von Gustav Mahler widmeten. Gleich im ersten Stück, „Der Einsame im Herbst“ aus dem Lied von der Erde, deutete Gerhaher an, wie gekonnt er verschiedene Register mischt, wie souverän er klangliche und dynamische Nuancen auffächert und damit jede noch so feine Regung von Text und Musik ausleuchtet.

Über so ein Spektrum und diese atemberaubende Stimmkontrolle zu verfügen, ist das eine. Den Reichtum dann auch gewinnbringend einzusetzen, das andere. Kongenial grundiert und unterstützt von Gerold Huber, modellierte Gerhaher die ganz eigenen Stimmungswelten von Mahlers Musik. Die Abschiedswehmut im Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“, die innige Schwärmerei von „Liebst Du um Schönheit“, aber auch die schaurige Todesnähe in den Soldatenliedern „Revelge“ und „Der Tamboursg’sell“, in denen das Klavier die Trommel imitiert. Mit einem Grummeln wie direkt aus dem Grab, als Fundament für die bleichen Klänge des Sängers.

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Ein Gesang wie ein Farbenspiel

Kaum ein anderer Interpret mit einem so gewaltigen Stimmvolumen hat den Mut, so vibratolos fahle Klänge zu wagen und Nebensilben so weit zurück zu nehmen wie Gerhaher: als Kontrast zur gleißenden Strahlkraft der lauten Passagen. Ein einziges Decrescendo – wie beim „Gute Nacht“ aus dem Tamboursg’sell – birgt bei ihm mehr Farben als bei anderen Sängern ein ganzer Liederabend. Das klingt fantastisch und wirkt sehr eindringlich, auch wenn es Hörer geben mag, denen das zu viel ist.

Erst in der zweiten Hälfte, beim langen „Abschied“, dem Schlusssatz aus dem Lied von der Erde, hinterließ die Erkältung ein paar feine, aber hörbare Brösel auf dem balsamischen Baritontimbre. Doch das hinderte Christian Gerhaher nicht daran, weiter textsensibel in die Schattierungen der Sprache hineinzulauschen, mit Gerold Huber zugleich große Bögen zu wölben – und mit der besagten Zugabe noch einen letzten, unvergesslichen Moment vokalen Glücks zu formen.