Hamburg. Zwischen Melancholie und Ausrasten spielt sich die Visual-Trash-Punk-Truppe im Uebel und Gefährlich durch ihr Repertoire.

Brav stehen die Besucher am Freitagabend in einer langen Schlange vor dem Uebel und Gefährlich, bevor sie in geordneten Sechsergruppen mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock des Feldstraßenbunkers fahren, wo hinter einer verschlossenen Tür die Verheißung auf einen Abend voller Eskalation, Schweiß, nackter Haut und Glitzerhüten wartet.

„Ausverkauft“ prangt in schwarzen Lettern auf provisorisch aufgehängten Zetteln an den grauen Wänden, was sich wenig später bereits anhand der schwindelerregend schnell schwindenden Sauerstoffmenge bestätigen lässt.

Vom Schunkeln zum Hüpfen

Geduldig wird während der kurzen Umbaupause auf die für ihre extravaganten, teils provozierenden Shows bekannte Maskeraden-Kombo Bonaparte um den Schweizer Wahlberliner Tobias Jundt gewartet. Sehr viel Ordnung, weniger „Too Much“, das Publikum scheint sich der musikalischen Wandlung der Band angepasst zu haben. Und so läuten Jundt und seine Musiker den Abend dann auch gemächlich mit „Melody X“ und „White Noize“ vom 2017 erschienenen Album „The Return of Stravinsky Wellington“ ein.

Es folgt eine kurze Eskalation zur Alltime-Favourite-Revoluzzer-Hymne „Anti Anti“, des 2008 erschienenen Debütalbums, bei der die Menge vom Schunkeln ins Hüpfen wechselt und die kostümierten Fans ihre Mützen kreisen lassen.

Tänzer trennt sich von Zebraleggins

Um die Betriebstemperatur zu halten, wird auch bei den nächsten Liedern auf bekannte Klassiker aus der Bandgeschichte gesetzt, die von schrill verkleideten mehr und mehr Hüllen fallen lassenden Tänzern begleitet werden. Nicht zuletzt die blonde Vokuhila-Perücke, die einer der Tänzer zum lässig betonten nackten Bierbauch trägt, während er sich von Zebraleggins und Glitzerboxershorts trennt, bis der schwarze Tanga zum Vorschein kommt, lässt die Anfangsjahre der Band hervorblitzen. „Mañana forever“. Ganz ohne Trash geht es dann doch nicht.

Und doch wirken danach auch die ruhigen Klänge des aktuellen Albums „Was mir passiert“, auf dem Bonaparte ihr Party- und Trash-Image vollends abgelegt haben. Es ist das nachdenklichste, persönlichste Album Jundts, für das er an die Elfenbeinküste gereist ist, um es mit lokalen Musikern aufzunehmen – von denen an diesem Abend auch zwei auf der Bühne stehen. Gastmusiker wie Sophie Hunger und erstmals fast komplett deutsche Texte komplettieren den musikalischen Reifeprozess.

Zwischen Melancholie und Ausrasten

Während im Bühnenhintergrund das gesamte Konzert hindurch ein Mann mit einer Stirnlampe zum jeweiligen Lied passend auf einer Leinwand malt und zeichnet und die beiden Tänzer kommen und gehen, rahmen die vier Musiker ihren Frontmann, auf der mit vielen Lichtern ausgestatteten, ansonsten schlichten Bühne als Konstante ein. Zweimal lässt dieser sich durch die tobende Menge gleiten.

Zwischen Melancholie und Ausrasten spielen sich Bonaparte in rund 100 Minuten durch ihr Repertoire, das am Ende in einer völligen Ekstase aus Nacktheit, Glitzer und Kunstblut gipfelt. So ganz können sie sich eben doch nicht vom „Too Much“ trennen und so lassen sie sich schließlich auch noch zu drei Zugaben hinreißen. Bei der letzten singt Jundt, mittlerweile auch oberkörperfrei, allein mit Akustikgitarre im Scheinwerferlicht „Into The Wild“.

Feuerzeuge statt Handylichter

Eine finale Betonung der neuen Nachdenklichkeit, die man ihm ebenso abnimmt, wie die große Party. Goutiert wird das mit echtem Feuerzeugschein statt unromantischer Handylichter. Schließlich geht auch Jundt die Luft aus und er muss „ins Sauerstoffzelt“, wie er seinen Fans in freundlichem Schweizerdeutsch mitteilt. Ein Bedürfnis, das er nach diesem wilden Ritt mit dem überhitzten Publikum teilt.​