Hamburg. Wundersame Begegnung mit einer Jazzlegende: Hancock zeigte musikalische Höchstleistungen, die aber nur selten zu Herzen gingen.

Eine leibhaftige Jazzlegende auf einer Hamburger Bühne: Das kann man als Wert an sich sehen. Und darüber staunen, wie unglaublich agil Herbie Hancock mit seinen 79 Jahren immer noch ist. Ihn dafür bewundern, dass er sich weiterhin dem Reisestress aussetzt; gleich 25 Konzerte umfasst seine laufende Europatour. Zudem lässt sich im Laufe des Konzerts am Sonntagabend im Großen Saal der Elbphilharmonie feststellen, dass der Meister sich mit exzellenten Musikern zu umgeben weiß.

Dass er der jüngeren Generation gleich beide Hände reicht und ihr manchmal sogar mehr Platz im Rampenlicht einräumt als zwingend erforderlich. Zwar deuten die Ovationen, als Hancock um kurz nach 20 Uhr die Bühne betritt, darauf hin, dass hier ein Lebenswerk gefeiert wird, aber er ist keiner, der permanent in den Vordergrund drängt.

Herbie Hancock in Hamburg: Spacige Soundblöcke

Doch bei allen Vorschusslorbeeren: Am Ende zählt auch bei ihm, was aus den Boxen kommt, und da gibt schon die etwa 15-minütige Ouvertüre die Richtung vor. Hancock entlockt seinem Korg-Kronos-Keyboard erst einmal spacige Soundblöcke, die einigermaßen frei vor sich hinwabern. Klar, das klingt ansatzweise nach dem Fusionsound, dem er sich bereits vor vielen Jahrzehnten verschrieben hat, ist aber auch irritierend richtungslos.

Eine klarere Struktur bekommt der Abend immer dann, wenn Klassiker aufgearbeitet werden. Etwa „Actual Proof“, eine bewährte Nummer seiner Headhunters, 1974 auf dem Album „Thrust“ veröffentlicht. Auch „Cantaloupe Island“, ein mehr als 50 Jahre alter Standard, der die Generation der Clubgänger 1993 in einer besonders tanzbaren Version der britischen Band Us3 erreichte, sorgt für einen Moment kollektiver Freude.

Das Bass-Spiel ist großer Sport

Allerdings bleiben die Klassiker in der Regel lediglich Ausgangsmaterial für allerlei Weitschweifigkeiten, für die vor allem Gitarrist und Sänger Lionel Loueke, Bassist James Genus sowie Schlagzeuger Justin Tyson zuständig sind. Allesamt große Könner, und allein Tyson bei seiner so komplexen wie schweißtreibenden Arbeit zuzusehen, hat einigen Unterhaltungswert.

Auch die solistischen, mit Verfremdungseffekten gespickten Läufe von Loueke und das wirklich wunderbar melodische Bassspiel von Genus sind großer Sport. Aber eben auch genau das: eine Höchstleistung, die Respekt abnötigt. Die jedoch nicht zwingend das Herz erreicht. Hochvirtuose Musik, deren technische Kühle auf Distanz hält.

Herbie Hancock kommt einfach sympathisch rüber

Dabei ist Herbie Hancock so ganz grundsätzlich einer zum Gernhaben. Nicht nur wegen seines Beitrags zur Jazzhistorie – seiner zeitlos wunderbaren Alben für das Blue-Note-Label („Maiden Voyage“, „Speak Like A Child“) und seiner stilprägenden Zusammenarbeit mit Miles Davis: Der Mann kommt einfach sympathisch rüber, wie er da in schwarzer Pluderhose, Hemd und roten Sneakers an seinem extra aus den Niederlanden herangeschafften Fazioli-Flügel sitzt, dem übrigens die schönsten Momente des rund 130-minütigen Abends zu verdanken sind.

Und wenn er das Publikum im Saal gegen Konzertende so aufteilt, dass dieses als Chor fünf verschiedene Melodien singt, dann ist das prächtiges Mitmach-Entertainment. Eines, das im Großen Saal bestens ankommt.

So gut, dass die treuesten Fans nach der letzten Nummer an die Bühne sprinten, um mitgebrachte Schallplatten und CDs signieren zu lassen, ein Selfie mit dem Meister zu machen oder dem bis über beide Wangen strahlenden Hancock einfach nur die Hand zu schütteln. Es ist schließlich eine Jazzlegende, die Hamburg an diesem Abend besucht hat.