Hamburg. Mit Intendantin Isabella Vértes-Schütter und Sohn Daniel Schütter feierte der Komödien-Klassiker an der Mundsburg Premiere.

Wir leben in verrückten Zeiten. Die Welt dreht sich irre schnell. Manche, ja zu viele Irre sitzen an den Schalthebeln der Macht. Ob das Carl Laufs und Wilhelm Jacoby, beide fest im Mainzer Karneval verwurzelt, schon ahnten, als sie 1889 die „Pension Schöller“ erdachten? Jenen Schwank, in dem ein Gutsbesitzer aus der Provinz unbedingt mal eine Irrenanstalt von innen sehen möchte und dabei in Berlin in die besagte Pension Schöller gerät.

Längst ist das 130 Jahre alte Stück ein Komödien-Klassiker an deutschsprachigen Bühnen, wurde dreimal verfilmt, kam mit Stars wie Willy Millowitsch oder Harald Juhnke auch ins Fernsehen, ebenso vor 15 Jahren als Aufzeichnung aus dem Ohnsorg-Theater. Die Ku’damm-Bühnen von Jürgen Wölffer brachten die „Pension Schöller“ gleich mehrmals heraus, zuletzt im Frühjahr 2018 eher traditionell auch als Zwischenspiel in der Komödie Winterhude.

Regisseur Weiler hat die "Pension Schöller" entstaubt

In dieser Vorweihnachtszeit nun lädt das Ernst Deutsch Theater, neben den derzeit ausgelagerten Ku’damm-Bühnen das größte deutsche Privattheater, an der Mundsburg in die „Pension Schöller“. Und: Die Inszenierung Harald Weilers, bei der Premiere mit lang anhaltendem Beifall, mehrmaligem Szenenbeifall und einigen Lachern aufgenommen, ist weder traditionell noch surrealistisch, wie es etwa die Berliner Volksbühne auch schon mal versucht hat. Diese „Pension Schöller“ ist vor allem eines: weitgehend unterhaltsam.

Das liegt zuvorderst an der homogenen 13(!)-köpfigen Darstellerriege, aber auch an einigen Einfällen des Regisseurs. Weiler hat sich im Verbund mit Ausstatter Lars Peter und dem musikalischen Leiter Mathias Weibrich offenkundig Gedanken gemacht, wie man den Lustspiel-Klassiker entstaubt, ohne ihn der Lächerlichkeit preiszugeben.

Alle stimmen zusammen einen Roy-Black-Schlager an

Im Mittelpunkt steht hier der Mensch mitsamt Macken und Nöten. „Du bist nicht allein“, stimmen alle Schauspieler gleich zu Beginn einen alten Schlager Roy Blacks an und nehmen Aufstellung in einem Café mit den Schildern „Kommen“ und „Gehen“. Dank Musik und Bühnenbild werden Erinnerungen an die 1960er-Jahre wach, mit Sesseln auf Rollen kommt schnell Bewegung in die Szenerie. Weitere Musiken wie Mendelssohns „Abschied vom Walde“ folgen.

Schließlich möchte Philipp Klapproth, der solvente Gutsbesitzer aus der Provinz und Junggeselle, einmal im Leben etwas Ungewöhnliches erleben. Er verfolgt – oder sollte man sagen – ihn verfolgt die Idee, in der Metropole einen Abend in einer Nervenheilanstalt mit Verrückten zu verbringen. Als sein Neffe Alfred Klapproth (Flavio Kiener) im Café darüber mit ihm spricht, kommt ihm mithilfe seines Freundes Ernst Kißling (Claudiu Mark Draghici), eines Malers, die Idee, den Onkel zu einer Soirée mit eigenwilligen Gästen in die Pension Schöller mitzunehmen. Die beiden jungen Männer, die als Tollen-Typ in Schwarz (Kiener) und langhaariger Sonnenbrillen-Träger mit brauner Lederjacke (Draghici) wie Typen aus den frühen respektive späten 60ern wirken, erklären die Pension flugs zum Sanatorium.

Klapproth fragt: „Wo sind die Patienten?“

Oliver Warsitz, am Ernst Deutsch Theater bisher meist ein Mann für die wichtigen Nebenrollen, zeigt in dieser Verwechslungskomödie als Klapproth senior, dass ihm ohne aufwendige Kostümierung Hauptrollen anzuvertrauen sind. Bei ihm reicht auch mal eine hochgezogene Augenbraue oder ein entgeisterter Gesichtsausdruck, wenn er nach seiner Frage „Wo sind die Patienten?“ als Philipp Klapproth mit den vermeintlich Verrückten ins Gespräch kommt und sich an seinen neuen Bekanntschaften erfreut. Und es ist ein Spaß, ihm dabei zuzusehen, wie er mehr und mehr die Nerven zu verlieren droht, als die „Irren“ ihm auf die Pelle rücken und zum Gegenbesuch auf seinem Gut eintreffen.

Da rollen dann nicht nur mehr die Sessel, da werden auch die Türen verrammelt, um die aus der Pension „Ausgebrochenen“ in die Zimmer einzusperren. Gilt sowohl für seinen neuen Freund, den abenteuerlustigen Löwenjäger Fritz Bernhardy, den Daniel Schütter mit schwülstigem Charme (und in Tigerfell-Unterhose) spielt. Auch seine Mutter, EDT-Intendantin Isabella Vértes-Schütter, hat als exzentrische, indes fein gezeichnete Schriftstellerin Josephine Krüger die Lacher auf ihrer Seite.

„Pension Schütter“: „Möbi“ sorgt für Freud’schen Versprecher

Dafür, dass das Stück nicht zur „Pension Schütter“ gerät, wie der frühere EDT-Dramaturg Eberhard „Möbi“ Möbius in einem Freud’schen Versprecher nach der Premiere äußerte, sorgen noch Kai Hufnagel als buchstäblich durchgeknallter Major a.D. und Rune Jürgensen als Schauspieler im Wartestand mit notorischer „L“-Schwäche. Er war in der „Pension Schönner“ kurzfristig für den verletzten Felix Lohrengel eingesprungen. Und Frank Thomé als von Sessel zu Sessel hüpfender und von Tür zu Tür eilender Pensionsdirektor Schöller erweist sich als patent-gewitzter Krisenmanager.

Die nicht ganze neue Idee von Regisseur Weiler, die Protagonisten ihre Handlung kommentieren zu lassen (zuweilen noch die Kommentare ihres Gegenübers) nutzt sich mit Fortdauer des Stücks indes ab. Und als letztes Lied Andreas Bouranis Song „Hey“ (2014) von Komödiantin Rabea Lübbe alias Klapproths Nichte Ida live mit E-Piano singen zu lassen, ist etwas zu viel des Guten.

Aber: Irren ist menschlich – und diese „Pension Schöller“ zeitlos.

.„Pension Schöller“ Sa 30.11., 19.30, bis 10.1., Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Friedrich- Schütter-Platz, Karten 22,- bis 42,-: T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de