Hamburg. Der tschechische Regisseur hat Christoph Heins Roman „Trutz“ auf die Bühne gebracht. Hamburg-Premiere ist am Schauspielhaus.
Der tschechische Theaterregisseur Dušan David Pařízek inszenierte bereits in den Jahren 2009/2010 in Hamburg. Seither hat er eine glanzvolle Karriere hingelegt mit zahlreichen preisgekrönten Inszenierungen vor allem in Zürich und Wien. Mit der Bühnenadaption von Christoph Heins Roman „Trutz“, einer Übernahme vom Schauspiel Hannover, kehrt er in dieser Woche nach Hamburg zurück.
Hamburger Abendblatt: Sie haben zuletzt während der Intendanz von Friedrich Schirmer am Schauspielhaus 2009 Büchners „Dantons Tod“ gezeigt. Wie ist es für Sie, an diesem Haus wieder zu inszenieren?
Dušan David Parízek: Die Intendanz hat es sich selbst damals schwer gemacht, aber letztlich war es für mich eine produktive Zeit. Ich habe mich in dieser Architektur, diesem Theater, in dieser Stadt damals noch gesucht, dabei aber auch hin und wieder etwas gefunden. Und Karin Beier hat, wenn man so will, in meiner Zürcher Uraufführung von „Faust in and out“ mitgewirkt. Als Zuschauerin ließ sie sich mit 80 anderen im „Jelinek-Keller“ einkerkern, wurde dann mit all den anderen Gretchen von den zwei Fäusten Edgar Selge und Frank Seppeler befreit und auf die Bühne hoch-„gerettet“. Dorthin, wo zeitgleich Goethe für Konsumenten von Hochkultur gespielt wurde. Natürlich hat Karin Beier sich die Jelinek-Perspektive angetan. Mit dieser Begegnung im März 2012 hat die Rückkehr nach Hamburg eigentlich begonnen. Ich bin dankbar dafür.
Sie haben sich im vergangenen Jahr bereits mit einem starken Gastspiel beim Hamburger Theaterfestival in Erinnerung gerufen. Die Inszenierung „Vor Sonnenaufgang“ steht für das, was man Ihr Konzept des „zivilen Theaters“ nennt. Was ist das genau?
Parízek: Mit solchen Begriffen tue ich mich schwer. Und bin auch nicht gut darin, sie zu erklären. Es ist der Versuch, mit möglichst schlichten, zurückhaltenden Mitteln zu arbeiten, um sich auf der Bühne jeden Konflikt und jedes Extrem leisten zu können. Wir treiben den Irrsinn, den wir nachvollziehbar machen wollen, auf die Spitze und überprüfen dann, was überflüssig ist. Mit anderen Worten: Wir versuchen Komfortzonen zu umschiffen und offen zu bleiben. Diese Erzählweise ist auch sehr naiv und kindlich und von einer starken Zerstörungswut geprägt. Das gilt auch für „Trutz“. Alles, was Sie an diesem Abend sehen werden, ist ein Plädoyer für ein analoges, von Hand gemachtes, von Menschen gedachtes, gespieltes und empfundenes Theater.
Sie haben lange eher die großen Klassiker inszeniert. Inzwischen sind es meist Gegenwartsstoffe. Wo liegt Ihr wahres Interesse?
Parízek: Ich hatte in meinen Anfängen im deutschsprachigen Theater das Glück, auf großen Bühnen arbeiten zu können, deshalb mussten es aber auch Kleist, Schiller, Goethe und Büchner sein. Am Prager Kammertheater waren wir in der Stoffwahl völlig frei und wussten, für und gegen wen wir Theater machen. Wir haben vor allem Erst- und Uraufführungen herausgebracht, das Theater war im Jetzt und Hier angekommen.
Worin liegt Ihr Interesse an Christoph Heins epochalem Wälzer „Trutz“?
Parízek: Ich stamme aus einer Familie, die unter den Repressalien eines totalitären Regimes gelitten hat. 1989 schien sich vieles zu ändern. Inzwischen ist klar, dass in meiner Heimat eine Wende nicht wirklich stattgefunden hat. Die Geschichte der Familie Trutz ist ein extremes Fallbeispiel für einen vergleichbaren Bewusstwerdungsprozess. Hein arbeitet sich am Gründungsmythos der DDR ab und stellt ihn infrage. Er zeigt Menschen, Antifaschisten, die mit vielen Träumen in den 1920er-Jahren in Berlin leben. Als der Nationalsozialismus sich immer klarer durchsetzt, versuchen sie, sich in ein Land zu retten, das Hoffnung repräsentiert, in die Sowjetunion. Sie geraten in das nächste totalitäre Regime, das genauso extrem ist, nur andere Vorzeichen, Fahnen und Embleme vor sich herträgt. Die Eltern sterben, durch Arbeitslageraufenthalte komplett gedemütigt. Ihr Sohn wird als Kind von Deutschen zurück in die DDR geschickt, ein Land, das er nie gesehen hat. Dieser Maykl Trutz versucht sich dann mit einem neuen System, dem real existierenden Sozialismus, zu arrangieren und erlebt eine neue Verlogenheit. Hein stellt die Frage, ob der Glaube an die große linke Illusion überhaupt aufrechtzuerhalten war. Bewusst oder unbewusst ironisiert er damit auch die politische Zeitenwende, die das Jahr 1989 repräsentiert.
Dieser Trutz zeichnet sich ja dadurch aus, dass er nichts vergessen kann. Was hat es damit auf sich?
Parízek: Die Erfindung einer Hauptfigur, die ein absolutes Gedächtnis hat, ist ein Plädoyer gegen die Geschichtsvergessenheit. Man muss sich immer wieder klarmachen, aus welchen Unrechtssystemen und geschichtlichen Umwälzungsprozessen unsere politische und gesellschaftliche Gegenwart hervorgegangen ist, um gegen Ideologien nicht anfällig zu sein. Christoph Hein beschäftigt sich nicht nur mit der Vergangenheit. Die politische Realität in unserer abendländischen Wohlstandsblase verändert sich rasend schnell – wie die Welt um uns herum. Wir erleben dieser Tage keine Leugnung des Holocaust mehr. Wir erleben unverhohlene Aufrufe zu nationalem Chauvinismus. Wenn eine intellektuelle Null wie Björn Höcke Sätze über ein Deutschland absondert, das nicht nur eine tausendjährige Vergangenheit, sondern auch eine tausendjährige Zukunft haben sollte, dann ist das Gedankengut, das in einer Demokratie nichts zu suchen hat. Wahlergebnisse wie in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen vermitteln dann im Extremfall besonders Kleingeistigen und Feigen den Eindruck, sie seien die Speerspitze einer angeblichen Bewegung. Sie glauben, wenn sie die Waffe in die Hand nehmen, tun sie etwas für Heerscharen von Gleichgesinnten. Entwicklungen, deren Gründe auch in einer mangelhaften Auseinandersetzung mit Geschichte liegen.
Im Roman kommt ja sehr umfangreiches Personal vor. Sie dampfen das für die Bühne ein auf vier Spielende. Wie gelingt das?
Parízek: Wir verlangen den Schauspielern Sarah Franke, Henning Hartmann, Markus John und Ernst Stötzner eine Menge ab. Sie entwickeln ein ganzes Panoptikum an Gestalten, erzählen die NS-Zeit, die Flucht nach Moskau, die Gulags, den ganz real vor sich hin kollabierenden Sozialismus in der DDR, die Geschichte der Familie Trutz. Konzentration entsteht dadurch, dass sie sich immer fragend – und nicht wertend – durch die drei Epochen spielen, im Grunde durch das ganze 20. Jahrhundert.
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Wie kommt denn die Hauptfigur in diesem komplizierten Leben zurecht?
Parízek: Maykl Trutz lebt in der Vergangenheit. Er versucht, für seine Eltern Gerechtigkeit zu schaffen. Als Mensch erklärt er sich damit zum Auslaufmodell und verpasst die Gegenwart. Das ist die Krux eines Daseins mit einem absoluten Gedächtnis. Wir versuchen darüber nicht zu urteilen, sondern den Bürger im Zuschauer anzusprechen und mit Christoph Hein zu fragen, ob es einfacher wäre, zu vergessen, sich Apathie oder Amnesie hinzugeben und sich von allmählich wieder hochkommenden Ideologien weiter verdummen zu lassen – oder aber zu sagen, bis hierher und nicht weiter.
„Trutz“ Hamburger Premiere 29.11., 19.30, Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13