Hamburg. Der libanesische Künstler Rabih Mroué zeigt auf Kampnagel zwei bewegende Arbeiten, politisch, reif und vielschichtig.
Zwei Männer liegen auf dem Boden der Kampnagel-Halle. Der eine wirkt in seinen immer neuen spiegelbildlichen Posen wie eine Kopie des anderen. Das Bein ist bei beiden akkurat abgewinkelt, die Hand mal neben dem Körper liegend, mal auf den Rücken verdreht.
Als sich die Leinwand erhellt, wird deutlich, dass Ty Boomershine und Marco Volta die Körperhaltungen Erschossener annehmen, hinter ihnen als Zeichnungen projiziert. Der Titel der Performance „Elephant“ von Rabih Mroué, die derzeit auf Kampnagel gastiert, erinnert an den gleichnamigen Kurzfilm von Alan Clarke. Er zeigt Verfolger, Verfolgte – und Gefallene.
Panorama aus Gewehrsalven, Vogelkonzert und Weltrauschen
Der Künstler und Regisseur Rabih Mroué, im Libanon geboren, in Berlin lebend, ist für seine doppelbödigen, zugespitzten Untersuchungen politischer Krisen und Kriege bekannt. In seiner bereits dritten Zusammenarbeit mit dem Dance On Ensemble erweist sich, dass seine Ideen in den akkuraten, oft schmerzvoll anzuschauenden Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer einen verblüffend adäquaten Ausdruck finden. Dazu trägt im Besonderen bei, dass die Menschen auf der Bühne im Alter zwischen 40 und 72 Jahren eine Lebensreife und gleichzeitig mit ihren über Jahrzehnte gestählten Körpern eine fast übermenschliche Präzision mitbringen.
So wie der langjährige Cunningham-Tänzer Boomershine etwa, der sich nun an einer Saal-Seite duckt, verstohlen umblickt, das Knie ergreift. Marco Volta nimmt erneut die Bewegung simultan auf. Aus dem Off erklingt ein Panorama aus Gewehrsalven, südländischem Vogelkonzert, Weltrauschen.
Unheimliche Szenen sind es, genau eingefangene Momente einer Flucht vor Heckenschützen. Gleichzeitig schreiten die Tanzenden perfekt getimt die geometrischen Muster einer Art Labyrinth ab, in dem jede Suche nach Verbindung mit einem Gegenüber scheitert. Das ändert sich auch nicht, als sich die ehemalige Forsythe-Tänzerin Jone San Martin dazugesellt. Alle drei bleiben isoliert.
Bilder auf kluge und gekonnte Weise in die Körper überführt
Kurze Denkpause. Für die deutsche Erstaufführung von „You should have seen me dancing Waltz“ legt sich die 72-jährige Christine Kono auf den Bühnenboden und liest Zeitung. Bald tobt um sie herum eine Kakophonie der Nachrichten und Informationen, ein mediales Grundrauschen aus Satzfetzen, Melodien, Geräuschen.
Im Folgenden versuchen die Tänzerinnen Anna Herrmann (Ex-Hamburg Ballett), Emma Lewis und der Tänzer Marco Volta mit ihren grazilen Bewegungen und gestreckten Gliedern regelrecht Schneisen durch die Informationsflut zu schlagen.
Das wirkt chaotisch, vor allem weil Rabih Mroué die Textfetzen auflädt mit aktuellen und historischen Bezügen von US-amerikanischer Außenpolitik über Hindu-Nationalisten Indiens bis zu islamischen Fundamentalisten. Es ist aber konsequent.
Eine reife, vielschichtige und bewegende Arbeit, die Bilder von Gewalt und Sehnsucht nach Menschlichkeit auf kluge und gekonnte Weise in die Körper überführt und damit für die Zuschauer unmittelbar erfahrbar macht.
Weitere Informationen zu „Elephant / You should have seen me dancing Waltz“.