Hamburg. Eisler und Weill, Hollaender und Hindemith, chansonesk abgeschmeckt mit Brel: Der deutsche Weltstar trat in der Elbphilharmonie auf.
Bissige Straßengöre oder unnahbare Diva, welches Kostüm, bitteschön, soll es sein? Für die Partie der doppelten Anna in Weills „Die sieben Todsünden“ muss man sich als Star des Stücks vor dem ersten Ton entscheiden, ob man so ungestriegelt proletarisch anecken will wie die legendäre, einmalige Lotte Lenya, die ganz und gar nicht „schön“ singen konnte, das aber grandios. Oder ob man Brechts sarkastische Lektionen über menschliche Schwächen und Laster von oben herab verabreicht, mit der coolen Noblesse einer Kunstlied-Interpretin wie Anne-Sophie von Otter, der dieses Kunststück mit dem NDR-Orchester unter John Eliot Gardiner sensationell gelang.
Ute Lemper, seit Jahrzehnten auf Weill abonniert, kam nun also am Sonnabend mit der Kammerakademie Potsdam für eine musikalische Zeitreise in den Großen Saal der Elbphilharmonie. Mit einem prall ambitionierten Zeitstücke-Programm über Umbrüche, Aufbrüche und Zusammenbrüche: Eisler und Weill, Hollaender und Hindemith, chansonesk abgeschmeckt mit einigen Brel-Klassikern. Berlin Alexanderplatz, Weimar und Bauhaus, Paris und Broadway, all das schimmert durch. Genau ihre Star-Kleidergröße. Und Lemper war als die zwei Annas in Weills Ballett-Musik dann auch eine eigenwillige Boulevard-Mischung: große Abendgarderobe und gedachte Showtreppe einerseits, wie es sich für den Weltstar born in Germany gehört, andererseits eine Interpretation mit einer Portion Rest-Schmutz unter den perfekt manikürten Fingernägeln.
Lemper überzog es hin und wieder
Das ging, weil Weills Musik ja so einiges an Verfremdungseffekten aushält, aber nicht immer ging es wirklich gut. Denn Lemper überzog es hin und wieder mit ihrem exzentrischen Ausreizen der Extreme, wenn sie – und das nicht nur im „September Song“ – ihr Marlene-Dietrich-Gedächtnis-Timbre ausfuhr, das kehlig und dunkel raunte. In den steilen Stellen wiederum produzierte sie mit musicaleskem Überdruck scharfkantige Spitzentöne, die trotz Routine-Makeup unschön bohrten. Auch die Brel-Klassiker – von Haus aus unanständige Stücke, die müsste man nicht so singen - bekamen eine mächtige Dosis Pathos und Gala-Orchester-Lack verpasst. Das Leichte im Schweren blieb bei diesem Repertoire-Parcour jedenfalls mehrmals auf der Strecke, und auch das großartige Vokalquartett Hudson Shad, als chronisch sich einmischender Familienchor bei den „Todsünden“ eine Idealbesetzung, kam mikrophonverstärkt mitunter nicht eindeutig und gut verständlich über die Rampe.
Aber obwohl die Potsdamer unter ihrem Chefdirigenten Antonello Manacorda eigentlich als Begleitorchester gedacht gewesen waren, rundeten gerade ihre gesangslosen Stücke das Gesamtbild des Programms wieder ab. Hanns Eislers „Kleine Sinfonie“ von 1932 beispielsweise, ein zickig-raffinierter Schnelldurchlauf durch vier Sätzchen, ruppig und respektlos unromantisch, die Manacorda flott durchwinkte. Und bei Hindemiths Kammermusik Nr. 1 „1921“, zehn Jahre zuvor komponiert, gab es nach einigen der Episoden Szenenapplaus für die frische Aufmüpfigkeit, so mitreißend und aktuell war diese fast 100 Jahre alte Provokation.