Hamburg. Die satirische Komödie „Extrawurst“ feierte Uraufführung am Heidi-Kabel-Platz. Geschrieben von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob.

Die Freiluft-Saison im Tennis ist praktisch zu Ende. Es wird – Klimawandel hin oder her - kalt in Deutschland. Langsam, aber sicher werden die Netze abgebaut, bald fliegen die Bälle nur noch unter dem schützenden Hallendach. Im Ohnsorg indes fliegen außer den Bällen jetzt auch die Fetzen.

Das Volkstheater am Heidi-Kabel-Platz ist bis Mitte November gewissermaßen ein Clubhaus. Und die Besucher sind allabendlich Teil der Mitgliederversammlung des TC Kloppstedt, ein Tennisclub in der norddeutschen Tiefebene. Wichtige Punkte wie die Anschaffung neuer Spielkleidung oder der Bau eines neues Clubhauses werden wie in einem Turbo-Tiebreak durchgepeitscht, bis unter „Sonstiges“ die Frage auf die Tagesordnung kommt, welcher neue Grill denn nun für den Club gekauft werden solle. Und auch einen für das einzige türkische (und muslimische) Mitglied?

Absurdes Schauspiel in zwei Akten

„Extrawurst“ haben Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob ihr brandaktuelles Stück genannt, eine politisch-satirische Gesellschaftskomödie. Die Autoren, das Regieteam und das Schauspieler-Ensemble wurden bei der Uraufführung mit minutenlangem Applaus gefeiert. Das Ohnsorg hatte sich das Stück der mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten „Stromberg“-Schöpfer, Comedy-Vielschreiber („Ladykracher“, WDR-„Mitternachtsspitzen“, „heute-show“„extra 3“) und Bestsellerautoren („Macho Man“) als erste deutsche Bühne gesichert.

Dass die Komödie auch op Platt zündet, zeigte die von Meike Meiners bis auf einige hochdeutsche Passagen ins Niederdeutsche übersetzte Fassung dieses absurden Schauspiels in zwei Akten.

Ein Wurstdiagramm gibt es per Beamer

Dabei entzündet nicht etwa Erol (Fabian Monasterios), der türkische Punktegarant, den Streit über einen zusätzlichen Grill. Gläubige Muslime dürfen bekanntlich nicht nur kein Schweinefleisch essen, sondern brauchen für ihr Grillgut laut strengen Regeln einen eigenen Rost. „Grillt wat ji wüllt. Wi bruukt würklich keen tweeten Grill – un fardig“, sagt der voll integrierte Erol, ruft mit seiner Zurückhaltung indes seine mit ihm erfolgreiche Mixed-Partnerin Melanie (Birte Kretschmer) auf den Plan, in diesem Fall auf die Bühne der Versammlung.

Dabei hat dort der zweite Vorsitzende Matthias (Osker Ketelhut) gerade perfekt serviert, indem er sich für den neuen hochmodernen Hochleistungsgrill „DC XO 3010“ ins Zeug gelegt hat – alles auf dem angeschlossenen Beamer anhand eines Wurstdiagramms bis ins Detail erläutert. Man(n) ist ja beim TC Kloppstedt schließlich nicht von gestern – oder doch?

„Mehrheits-Braatwuust“, Ausdruck der Demokratie?

Präsident Heribert wirkt manchmal so. Er hat als Pensionär mit Bart und Wohlstandsplauze seine aktive Zeit längst hinter sich, plagt sich mit Ischias-Problemen und trägt seine Adiletten, als wolle er zum Bierholen anstatt auf den Tennisplatz. Wie Konstantin Graudus diesen „Präsi“ mit jovial-autoritärer Bräsigkeit spielt, ist für sich schon ein komödiantisches Ereignis. Sein Vize Matthias, den Ketelhut als mehr und mehr aufbegehrenden Underdog gibt, drückt dem Spiel jedoch seinen Stempel auf. Nicht nur, weil für ihn die „Mehrheits-Braatwuust“ ein Ausdruck der Demokratie ist und sich Heribert wegen seines Gehabes als „Erdogan“ oder „Putin“ beschimpfen lassen muss.

Regisseurin Meike Harten versteht es, den Charakter-Komödianten Graudus und Ketelhut wie schon im Frühjahr in der Komödie „De verdüvelte Glückskeks“ als Antipoden Spielraum zu gewähren. Darüber hinaus glänzt sie im Doppel mit Peter Lehmann (Bühnenbild und Kostüme) mit Inszenierungs-Witz, lässt Raum für Zwischentöne und zeigt ein feines Händchen: Schwenkbare Mikrofone wie für Schiedsrichter bei einem Match, ein klappriger Schiedsrichterstuhl, auf dem der als Versammlungsleiter abgesetzte Heribert alias Graudus über allen thront, sind nur einige gelungene Einfälle.

Bürgertum wird der Spiegel vorgehalten

Sie machen das dialogstarke, aber eben auch dialoglastige Stück im zweiten Abschnitt erst zu einem wahren Theatergenuss, bei dem dem Bürgertum der Spiegel vorgehalten wird. Wo fängt latenter Rassismus im Alltag an, und wo hört politische Korrektheit auf? Gilt auch für den ach so liberalen Werbetexter Torsten (Markus Gillich), der mit seiner engagierten (und trinkfesten) Gattin Melanie in eine Ehekrise gerät.

Und dass die Schauspieler im Tennis- und Bühnenkleidung in der Pause auch im Ohnsorg-Foyer auftauchen, als wäre die Mitgliederversammlung unterbrochen, sollte keinen irritieren – höchstens amüsieren.

„Ich darf sagen, ihr seid hier jetzt integriert“, dankte Ohnsorg-Intendant Michael Lang bei seiner Premierenansprache mit feiner Ironie den beiden rheinischen Satire-Naturen Jacobs und Netenjakob für ihr Stück. Das steht in dieser Spielzeit noch bei vielen weiteren deutschen Theatern auf dem Spielplan. Die Messlatte liegt nach dieser Uraufführung hoch. „Advantage Ohnsorg!“, Vorteil für das Hamburger Theater also, ginge das Spiel über Einstand. Für das ganze Match gesehen gilt: Spiel, Satz und Sieg!

„Extrawurst“ wieder Di 8.10,. 19.30, bis 15.11., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 23,52 (ermäßigt 9,-/Do.) bis 36,- unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de