Hamburg. Pianosommer in der Elbphilharmonie mit Joja Wendt, Martin Tingvall, Sebastian Knauer und Axel Zwingenberger.
Der Hamburger Pianosommer hat schon Tradition, aber weil die Staatsoper derzeit noch renoviert wird, weicht der Gipfel der vier Tasten-Hochkaräter dieses Mal in den Großen Saal der Elbphilharmonie aus. Initiator Joja Wendt ist damit keineswegs unzufrieden und auch seine drei Kollegen Sebastian Knauer, Martin Tingvall und Axel Zwingenberger betreten nacheinander fröhlich-federnden Schrittes die Bühne. Sie wechseln sich an den beiden ineinander verschränkten Flügel in einem heiteren Intro ab, wobei der eine die Tastatur übernimmt, während der noch andere noch sanft mit ein paar Takten verabschiedet. Da wird nur kurz mal der Klavierhocker hoch- oder runter gestellt und weiter geht’s.
An diesem Abend stimmt alles, sowohl der Klang als auch der Unterhaltungswert. Zunächst intoniert Sebastian Knauer ein paar wuchtige Akkorde von Beethovens „Mondscheinsonate“. Er interpretiert sie mit gesteigertem Tempo, was eher der Spielweise seiner improvisationsfreudigen Jazz-Kollegen entspricht. Überhaupt ist die Auswahl aus dem klassischen Repertoire ein reines Gassenhauer-Potpourri: Beethoven, Grieg, Rachmaninow. Alles dezent rhythmisiert. Es geht um Unterhaltung auf hohem Niveau – nicht um Kunst-Überforderung.
Tingvall, der junge Wilde, trägt Schlangenlederstiefel
Die von Knauer gespielte Prélude und Fuge in C-Dur von Johann Sebastian Bach gleitet in eine filigrane Improvisation von Martin Tingvall hinüber. Das Konzert lebt von der Verschiedenheit, den unterschiedlichen Stärken und Schwerpunkten der vier Tastenvirtuosen, von denen jeder auf seinem Gebiet ein Meister ist. Knauer ist eher der ernsthafte Klassik-Mann, Joja Wendt ein musikalischer Grenzenausloter, der sowohl in der Jazz-Improvisation wie im Boogie Woogie zu Hause ist. Rimski-Korsakows „Hummelflug“ kreuzt er mit Hip-Hop-Akkorden um kurz darauf eine mitreißend arrangierte Version von Ed Sheerans „Shape Of You“ hinzulegen.
Der in Hamburg lebende Schwede Martin Tingvall ist in der aktuellen Jazzszene eine Nummer für sich. Sein aktuelles Album „The Rocket“ führte aus dem Stand die bundesweiten Jazz-Charts an. Und seine süffig-poppigen Minidramen wie „The Rocket III“, „Floating“ oder „No Gravity“ sorgen an diesem Abend für Gänsehaut und musikalische Schwerelosigkeit. Leise mitsummend weitet Tingvall das Klangspektrum mit weichem Anschlag ins Cinemascope-Formatige. Er ist der junge Wilde in diesem Trio. Ein lässiger Jeans-Träger in grünen Schlangenlederstiefeln.
Die „Fantastischen Vier“ mit launigen Zwischenansagen
Die werden nur noch übertroffen von den natürlich roten Lacktretern von Boogie-Woogie-Veteran Axel Zwingenberger. Sein Spiel ist wie immer faszinierend, rasant, mitreißend. Fast gummiartig fallen seine Finger auf die Tasten nieder, während er rechts mit der Hacke, links mit Hacke und Fußspitze seine eigene Rhythmusmaschine bildet. Mit Evergreens wie dem „Störtebeker Stomp“ reißt er den Saal zu Begeisterungsstürmen hin.
Die vier Pianisten treten für launige Zwischenansagen ans Mikrofon, wobei der eher nüchtern und knapp bleibende Martin Tingvall angenehm uneitel auftritt, während seine Kollegen ihre Selbsthuldigungen immer wieder ironisch brechen. Nach drei Stunden und etlichen Zugaben mit Klassikern von Leonard Bernstein gruppieren sich die „Fantastischen Vier“ schließlich um einen Flügel, die Tastatur voll ausnutzend. Das Publikum tobt und gleitet so ermattet wie glücklich und mit vielen Melodien Kopf in die frühherbstliche Nacht.