Hamburg. Die Uraufführung des Bestsellers Serotonin im Schauspielhaus ist ein Fest der Lächerlichkeit, flott inszeniert von Falk Richter.

Am Spielbudenplatz läuft seit einigen Jahren ein Solo, Caveman, ein Dauerbrenner. Dort haut ein Kerl, der emotional auf Neandertalerniveau stecken geblieben ist, eine Pointe nach der anderen heraus, allesamt aus der Abteilung Mann-Frau-Klischees und sehr zur Freude der anwesenden Prosecco-Grüppchen. Würde man diesen Höhlenbewohner nun seiner, Verzeihung, eher schlichten Unbeschwertheit berauben, ihn gründlich ins Säurebad des Zynismus tauchen, ihm jegliche Empathie abschälen, alle Zuversicht entreißen, stattdessen sorgfältig den Lebens-Überdruss ins Bewusstsein schieben und das Ergebnis auf die Bühne des Deutschen Schauspielhauses stellen – es käme womöglich ein Florent-Claude dabei heraus. Oder gleich ein ganzes Rudel.

Im schwarzen Bademantel schlurft zunächst Jan-Peter Kampwirth an die Rampe, rauchend, schon in den ersten Minuten ein Arsenal an Selbsthass und Weltekel ins Parkett ätzend. Dann Samuel Weiss, Tilman Strauß, Carlo Ljubek. In Falk Richters Uraufführung des Bestsellers Serotonin von Michel Houellebecq ist der Mann im Zentrum nicht bloß einer. Er ist einer wie viele. Ein typischer Mann? Ein Typ Mann jedenfalls.

Houellebecqs Serotonin – Demütigung, Abscheu und Komik

Mit dem man übrigens keinerlei Mitleid haben muss, das besorgt er zur Genüge selbst: „Ein „Spielball der Umstände“ sei er, klagt er, ein „substanzloses Weichei“, geplagt von Libidoverlust und Impotenz, alles Nebenwirkungen der Psychopharmaka. Deren chemische Reaktion wird zu Beginn übergroß auf eine Art aufgeblättertes Leporello projiziert, das als so schlichte wie elegante Kulisse dient (Bühne: Katrin Hoffmann).

Es soll schließlich eine „Geschichte“ erzählt werden. Kein Märchen, sondern eine bittere Beschreibung der Gegenwart. Die Geschichte des alten, weißen Mannes. Es ist ein Abgesang, der reich ist an Demütigung und Abscheu, allerdings auch reich an Komik. Naja, außer für ihn selbst vermutlich und für seinesgleichen.

Bademantel-Boygroup mit Beobachterinnen

Weshalb Falk Richter seiner Bademantel-Boygroup zwei selbstsichere Beobachterinnen an die Seite stellt. Übergroße Spitzenhöschen und Stringtangas floaten verheißungsvoll, aber unerreichbar über die Leinwand (die poppigen Videoinstallationen von Sébastien Dupouey sind eine Kunst für sich), während Sandra Gerling und Josefine Israel das Geschehen von zwei Logen herab kommentieren und vorantreiben. Richter erhebt die Frauen auch räumlich über die Männer, das ist auf mancherlei Art ein wirklich hübsch böser Seiten-Hieb.

Lässig kanzeln die weiblichen Conférenciers das Quartett geschlagener Männlichkeit ab: „Das Selbstwertgefühl einer Amöbe kann zeitweise über dem eines ausgewachsenen Mannes liegen.“ Und das ist hier ganz gut zu beobachten, wenn Florent-Claude sich – zu höhnisch dahintreibenden Asia-Püppchen und schlimmstkitschigen Sonnenuntergängen – angewidert ausmalt, wie er seine japanische Freundin umbringen könnte, nachdem sie „nicht nur mit Abendländern“ schlief, sondern auch mit Hunden.

Schauspielhaus empfiehlt Inszenierung erst ab 16 Jahren

Derlei drastische Schilderungen – die Houellebecq seinem Antihelden genüsslich anrichtet – dürften der Grund sein, weshalb das Schauspielhaus die Inszenierung erst ab 16 Jahren empfiehlt.

Souverän bezwingen die fantastischen Schauspieler die Textmassen, von Falk Richter flott und gekonnt arrangiert, mit Lust am Spielerischen, Spöttischen einerseits und sicherem Gespür für die sehr ernst gemeinte Gegenwartskritik andererseits. Momente des Boulevardesken lässt der Regisseur zu, das Ensemble darf dem Affen ordentlich Zucker geben, der Abend ist mitunter ein wahres Fest der Lächerlichkeit.

Auch der Autor selbst wird nicht verschont und bekommt seinen Cameo-Auftritt, ein dreifacher Houellebecq-Wiedergänger müht sich wulstige, tiefrote Vulven zu bezwingen. Nicht mal der Suizid allerdings gelingt ihm. Oder dem Protagonisten Florent-Claude? Man weiß bei Houellebecq ja nie so genau, wer da gerade spricht.

Verblüfftes Premierenpublikum

Schön auch, wie die Musik hier symbolhaft wirkt. Während Florents Studienfreund Aymeric, erfolgloser Landwirt und Globalisierungsverlierer, noch als Kurt-Cobain-Verschnitt in der Einsamkeit von Gniedelgitarrensoli schwelgt, rappen die Frauen schon ausgesprochen cool die expliziten SXTN-Zeilen „Jetzt sind die Fotzen wieder da!“ Veritable weibliche Ermächtigung, die vom verblüfften Premierenpublikum weniger angemessen gefeiert wurde, als das in künftigen Vorstellungen der Fall sein dürfte.

Überhaupt machen diese grandiosen Ladies mit ihrer Attitüde Eindruck: Sandra Gerling legt einen perfekten Stand-Up hin, Josefine Israel gelingt ausgerechnet mit der 80er-Jahre-Ballade „The Power of Love“ ein unzynischer, ergreifender Moment, was vor allem daran liegt, wie sie singt, rau und verletzlich.

Den Männern dient derweil ein imposantes Waffenarsenal als Religions- wie Erektionsersatz, in großer Erlöserpose kommt es zum vorläufigen Showdown, Feuer, Nebel, volles Programm, in Gedanken sind die französischen Gelbwesten da nicht weit. Nach der Pause ist der Mann nur noch ein müdes, archaisches Wesen, wahlweise gorillahaftes Zottelgeschöpf (da ist er, der Caveman!) oder Looser im Fatsuit. Mann, oh Mann.

Inszenierung am Ende harmloser als Romanvorlage

Im Grunde sind Schauspieler wie Samuel Weiss und Carlo Ljubek natürlich zu smart, zu ironisch auch, als dass man ihre Figuren nicht eigentlich doch gern haben möchte. Vielleicht wirkt die Inszenierung auch darum am Ende harmloser als die Romanvorlage. Ausgerechnet an diesem Ort Goethe einen „der grauenvollsten Schwafler der Weltliteratur“ zu nennen, das allerdings hat schon etwas sehr originell Garstiges.

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