Hamburg. „En Mann mit Charakter“ wurde gefeiert, hätte genau so aber auch schon vor Jahrzehnten am Ohnsorg gespielt werden können.
Es ist Heidi-Tag im Ohnsorg-Theater. Bevor sich der Vorhang bei der Premiere von „En Mann mit Charakter“ hebt, wird ein historischer Filmausschnitt mit Heidi Kabel eingespielt, in dem sie leckere Windbeutel anpreist. Der sich anschließende Abend steht ganz im Zeichen ihrer Tochter Heidi Mahler, die die Hauptrolle spielt und der die Saisoneröffnung im Jahr ihres 75. Geburtstags gewidmet ist.
Nachdem sich am Ende der Premiere der tosende Beifall für Mahler und das Ensemble gelegt hat, wartet das Theater mit einer Überraschung für die Jubilarin auf: Als fünfte Persönlichkeit überhaupt wird ihr die Ehrenmitgliedschaft des Ohnsorg-Theaters verliehen, die höchste Auszeichnung des Theaters. Heidi Mahler ist sichtlich überrascht. Mit gefalteten Händen und dem Blick nach unten lauscht sie der Laudatio von Christian Breitzke, dem Vorstandsvorsitzenden des Vereins Niederdeutsche Bühne. „Über die Jahrzehnte wurde Frau Mahler zum Inbegriff des Ohnsorg-Theaters. Ohnsorg und Heidi Mahler, das sind zwei Schuhe, die ein Paar ergeben“, sagt Breitzke.
Mahler: „Ich freue mich furchtbar"
Mahler ist von der Ehrung so gerührt, dass sie keine Dankesrede aus dem Ärmel schütteln kann: „Ich freue mich furchtbar. Damit habe ich nicht gerechnet“, sagt sie nur und verschwindet dann glücklich winkend in ihrer Garderobe.
„En Mann mit Charakter“, 1955 am Ohnsorg uraufgeführt, gehörte zu den Lieblingsstücken ihrer Mutter. Auch Heidi Mahler hat in verschiedenen Aufführungen der Komödie von Wilfried Wroost mitgewirkt – und zwar in allen drei Frauenrollen. Sie spielte 1969 Gisela, die bildhübsche Tochter des Bäckermeisters Heinrich Hinzpeter, sie stand in den späten 90er-Jahren als dessen geschiedene Frau Selma auf der Bühne, und in der aktuellen Inszenierung von Michael Koch, ihrem Mann, verkörpert sie Dora Hinzpeter, die Mutter des charakterfesten Bäckermeisters.
Immer wieder starke Pointen
Dora ist zwar alt, aber im Hause Hinzpeter ist sie immer noch die mächtigste Instanz. Bevor sie in die Szenerie tritt, ist bereits das „Tok, tok, tok“ ihres Gehstocks zu hören und dann steht sie da mit ihrer ganzen Präsenz. „Ik bün noch lang nich tüdelig, dat mark die mal“, ist ein Satz, den sie oft wiederholt, sollte irgendjemand aus ihrer Familie an ihrer Auffassungsgabe zweifeln. Mahler setzt als Dora mit ihrer Schlagfertigkeit immer wieder starke Pointen und scheut auch nicht davor, ihren patriarchalisch auftretenden Sohn Heinrich (Till Huster) auf Bonsai-Größe zu stutzen.
Mit Wroosts Kleinbürger-Stück holt das Ohnsorg einen Klassiker des Volkstheaters ins Repertoire, der hier seit 30 Jahren nicht gespielt wurde. Gefallen dürfte das jenen älteren Theaterbesuchern, die mit dem modernen Weg, den der ehemalige Intendant Christian Seeler eingeschlagen und den der jetzige Theaterchef Michael Lang konsequent fortgesetzt hat, noch etwas fremdeln. Mit Stücken wie „Soul Kitchen“ oder „Adam sien Appeln“ versucht das Ohnsorg auch für ein jüngeres Publikum attraktive Stücke auf Plattdeutsch zu präsentieren.
„En Mann mit Charakter“ ist dagegen eine Komödie aus dem Museum, das so auch schon in den 1960er- und 1970er-Jahren, noch am alten Ohnsorg-Standort an den Großen Bleichen, ins Programm gepasst hätte. Man darf es als Hommage an das Ohnsorg von früher verstehen und als besonderes Geschenk an Heidi Mahler.
Die rassistischen Sprüche hätten gestrichen gehört
Das Bühnenbild (Katrin Reimers) ist mit den Blümchen-Kissen und dem senfgelben Dreisitzer genauso im 70er-Jahre-Look gebaut wie auch die Kostüme mit ihren Ornamenten und Minikleidern. Besonders beeindruckend ist der rote Pillbox-Hut, den Selma (Beate Kiupel) trägt. In dieser Welt haben sich Töchter noch unterzuordnen. Gisela (Eileen Weidel) opponiert nicht gegen ihren halsstarrigen Vater, sie versucht ihn eher zu bezirzen. „En Mann mit Charakter“ arbeitet mit vielen Klischees. Die rassistischen Sprüche über Hottentotten und Afrika hätte der Regisseur besser gestrichen. Was in den 60er-Jahren noch flapsig dahin gesagt wurde, gehört heute aus gutem Grund auf keine Bühne und auch in keinen Alltag mehr.
Bäckermeister Heinrich Hinzpeter ist so ein lebendes Klischee und Till Huster setzt alles daran, diese Vorgaben mit seinem polternden Ton zu erfüllen. „Du schallst mi nich ümmer ünnerbreken“, ist sein zentraler Satz, doch in Wahrheit ist er es, der niemanden ausreden lässt – was zu einer Reihe von Gags führt.
Das Premierenpublikum ist begeistert
Hinzpeter hat sein Temperament nicht unter Kontrolle, er fällt vernichtende Urteile über seine Mitmenschen, vor allem Finanzbeamte wie der junge Detlef Düwel (Christian Richard Bauer) sind ihm ein Graus. „Vör uns Meister mööt Se sik in acht nehmen. Dat is en Mann mit Charakter“, sagt der Lehrling Peter Hintz (Lara-Maria Michels) über seinen Chef und meint damit, dass Heinrich Hinzpeter sich von seinen Vorurteilen und Standpunkten nicht abbringen lässt.
Für Till Huster und seine Kollegen wird „En Mann mit Charakter“ zu einem Triumph. Das Premierenpublikum feiert die starken schauspielerischen Leistungen und verneigt sich vor Heidi Mahler.
„En Mann mit Charakter“, bis 5.10., Ohnsorg Theater (U/S Hauptbahnhof), Heidi-Kabel-Platz, Karten ab 21,-; www.ohnsorg.de