Hamburg. Janne Mommsens Komödie „Botter bi de Fisch – Singles à la Carte“ feiert am Heidi-Kabel-Platz Uraufführung. Nach der Pause fallen die Masken.
Die Freie und Hansestadt nimmt mehrere Attribute für sich in Anspruch: „schönste Stadt Deutschlands“, „Musikstadt“, „Musical-Metropole“, gern auch Theaterstadt. Und Single-Hauptstadt. Allein im Jahr 2017 seien 340.000 Menschen in Hamburg auf Partnersuche gewesen, 241.000 dafür auch online, zitierte Ohnsorg-Intendant Michael Lang am späten Sonntagabend ein Singlebörsen-Vergleichs-Portal. Schon vor zwei Jahren gab es in Hamburg 34 Firmen, die sich auf die Vermittlung von Singles spezialisiert hätten, erwähnte er.
Was das mit Theater zu tun hat? Nun, seit Sonntagabend lädt das Ohnsorg zum Single-Dinner – zu einem der etwas anderen Art. In „Botter bi de Fisch – Singles à la Carte“ werden die Zuschauer Zeugen eines Abendessens für vier einsame Herzen. Für die Uraufführung von Janne Mommsens Komödie gab es am Ende kräftigen Applaus.
Katrin Reimers’ Bühnenbild – ein großer Suppenteller
Der erste Beifall nach Öffnen des Vorhangs indes gebührt – wieder mal – Katrin Reimers. Die Bühnenbildnerin hat für dieses moderne Stück Großstadtheimat nicht etwa eine gestylte Wohnküche kreiert, sondern einen überdimensionalen tiefen Teller. In dem und um den herum dreht sich im Laufe des Abends einiges, und manches im Leben der vier Suchenden steht plötzlich kopf.
Kostümbildnerin Christine Jacob hat zudem zwei Figuren besonders bunt ausstaffiert: Tim-Ulf (mal aalglatt, dann einfühlsam soft: Tobias Kilian) trägt nicht nur den großen Fisch, sondern als vermeintlicher Macher – ganz hip – auch einen giftgrünen Anzug, der ihm fix den Spitznamen „Kermit“ beschert. Und als Elin, eine attraktive Stewardess, in türkisfarbener Uniform hereinstolpert, scheint sich das erste Paar gefunden zu haben. Sina-Maria Gerhardt spielt sie bei ihrem Ohnsorg-Debüt zunächst als nur Hochdeutsch sprechende busy Blondine vom exklusiven Dienst. „Nordhalbkugel – Feierabend – herrlich!“, jauchzt sie, macht Tim-Ulf jedoch flugs zum „Tulf“.
Begriff Löffelchenstellung bekommt eine neue Bedeutung
Da wirkt Lotte (Rabea Lübbe) deutlich bodenständiger. Sie schwankt emotional zwischen schüchterner Pedanterie und überkandidelter Euphorie, gerät mit ihrem mitgebrachten Mousse au chocolat bereits bei der Ankunft in Partystimmung. Und wenn sie auf dem großen Löffelstiel zu Yoda, dem Vierten im Bunde, runterrutscht, bekommt der Begriff Löffelchenstellung eine ganz neue Bedeutung.
Yoda, von Vasilios Zavrakis als überforderter Softie in Nöten verkörpert, entpuppt sich als unfreiwilliger Gastgeber dieses Blind-Date-Dinners, als seine Schwester, die hochschwangere Annalena (resolut gut: Vivien Mahler) wieder in ihre eigene Wohnung will. Sie hat ihrem kleinen Bruder das Single-Essen als Geschenk zum 35. Geburtstag zugedacht und wirkt nun wie ein „fünftes Rad am Wagen“. Dabei ist in „Botter bi de Fisch“ nichts, wie es scheint.
Queen-Hit „Don’t Stop Me Now, gesungen über Kopf
Spätestens als die unscheinbare Lotte Verdacht schöpft und unter Waffengewalt wissen will, was hier gespielt wird. fallen die Masken: „Dies ist meine 30. Singe-Veranstaltung in diesem Jahr“, klagt Lotte, auch von Beruf her eine Ermittlerin. Rabea Lübbe setzt dem Spiel zwischen Verzweiflung und Tragik komödiantisch die Krone auf, indem sie körperlich an ihre Grenzen geht, Inklusive des gemeinsamen Singens des alten Queen-Hits „Don’t Stop Me Now“ in Überkopf-Position am Tellerrand.
Es braucht indes etwas Zeit, bis auf der Bühne der Eitelkeiten Bewegung und auch mal bittere Wahrheiten hinter den falschen Identitäten ans Licht kommen. Regisseurin Ayla Yeginer gibt den fünf Figuren Raum, sich zu entwickeln, hätte in ein, zwei Szenen vor der Pause die Zügel noch etwas fester anziehen können. Umso besser gelingt es ihr und dem treffend besetzten Ensemble im zweiten Teil, trotz Überzeichnung und Macken, die emotionalen Feinheiten dieser Beziehungsgestörten herauszuarbeiten. Mehr und mehr blicken die Beteiligten über den Tellerrand hinaus. Die Singles entdecken sich und den Begriff Freundschaft neu. Ihr fast vollständig digitalisiertes Leben frei nach dem Motto „Posten statt Persönlichkeit“ rückt in den Hintergrund, statt der permanenten Selbstdarstellung die Suche nach menschlicher Nähe in den Vordergrund.
Am 22. Juni macht das Ohnsorg ein Single-Event
Auch die Sprache kommt in Janne Mommsens mit Liebe zu den Figuren gezeichneter Geschichte immer mehr zur Geltung. Zugleich ein Verdienst von Kerstin Stöltings gelungener Übersetzung des in einer Mischform aus Platt- und Hochdeutsch gehaltenen Stückes.
Die Produktion sei auch ein Einstandsgeschenk an den neuen Nachbarn im Bieberhaus, den Rowohlt Verlag, in dem „Botter bi de Fisch“ erschienen ist, sagte Michael Lang bei der Premierenfeier. Und außer auf der Bühne wird das Ohnsorg – zunächst testweise – selbst auf dem Single-Dating-Markt tätig: Am 22. Juni gibt es ein spezielles Single-Event mit Kennenlern-Getränk vor der Vorstellung und anschließendem Besuch der Theaterbar. Das nennt man dann wohl eine findige Marketing-Idee.