Hamburg. Der isländische Pianist würdigt auf Einladung von Christian Kuhnt beim “Roommates“-Konzert im Uebel & Gefährlich den Künstler Moondog.

Es ist ein kleiner Coup, der Christian Kuhnt gelungen ist. Unter dem Titel „Moondog — 5 außergewöhnliche Konzerte in Hamburg“ würdigt der Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals in diesem Jahr mit einer Reihe einen eher unbekannten Außenseiter der Musikszene. Der zweite Abend unter dem Motto „Roommates“ ("Mitbewohner") bestätigte Kuhnts Konzept in vielerlei Hinsicht: Ein eingängiges, aber niveauvolles Programm mit dem angesagten und publikumswirksamen Pianisten Vikingur Olafsson, das Uebel & Gefährlich als ungewöhnlicher Festivalort und der extrem niedrige Einheitseintrittspreis von 14 Euro lockten reichlich neues Publikum, sodass sich im Feldstraßen-Bunkerclub Hipster mit klassischer Klientel mischten. Eine Art von Investition, die sich für das SHMF langfristig auszahlen könnte.

Louis Thomas Hardin (1916–1999), der sich den Künstlernamen Moondog zulegte, war ein extrem unkonventioneller und undogmatischer Musiker, der (unter anderem) von Igor Strawinsky, Leonard Bernstein, Charlie Parker, Steve Reich, Philip Glass, Paul Simon und Janis Joplin geschätzt wurde, doch dessen unübersichtlich umfangreiches Werk rasch vergessen wurde — was auch mit seiner kuriosen Existenz zusammenhängt. Der mit 16 Jahren bei einem Unfall erblindete Moondog hatte sich sein musikalisches Wissen weitestgehend im Selbststudium über die Braille-Schrift ertastet und „angehört“. Von 1943 bis 1974 lebte er in New York als Straßenmusiker mit Stammplatz an der Ecke 6th Avenue/54th Street, an der er Texte und eigene Kompositionen auf einer Vielzahl von selbst gebauten Instrumenten vortrug und bald zu einer New Yorker Berühmtheit wurde, wozu auch sein bizarres Wikinger-Outfit beitrug (er fühlte sich der nordischen Mythologie geistesverwandt).

Seine letzten 25 Jahre verbrachte er meist in Deutschland, wohin er durch eine Einladung des Hessischen Rundfunks gekommen war und wo es ihm gut gefiel, zumal er Menschen fand, die ihn unterstützten. Eine Wiederentdeckung in den USA erlebte er 1989 mit der Einladung zum New Music America Festival. Gleichwohl ist er heute kaum noch präsent. Zu Unrecht, sagte Christian Kuhnt: „Wir beginnen gerade erst, seinen Einfluss auf die Minimal Music zu verstehen.“

Großer Beifall für Bach und seine Nachfahren

Das war das entscheidende Stichwort für diesen Abend, denn Moondog war ein Jahr lang Mitbewohner („Roommate“) von Philip Glass. Und der habe, so Vikingur Olafsson, in dieser Zeit des Zusammenlebens zweier nicht unschwieriger Männer musikalisch mehr gelernt als in seinem Studium. Der isländische Pianist weiß das aus erster Hand, denn er ist durch sein brillantes Album „Philip Glass – Piano Works“ in engem Austausch mit dem Minimal-Music-Pionier.

Bevor Olafsson das Gros dieses Deutsche-Grammophon-Bestsellers von 2016 spielte, erklärte er, wie er – zum Teil mit Tipps vom Komponisten – in die nur auf den ersten Blick monoton-repetitiven Strukturen eintauchte und über die unermüdliche Praxis der Wiederholung die Verankerung dieser Musik in musikalischen Traditionen von Palestrina über Bach bis hin zu Satie begriff, ihre hohe Qualität und den quasi buddhistischen Geist im Tun zu verstehen lernte. Sein Fazit: „Ich spiele die Etüden nie gleich, sondern erschaffe sie im Moment immer wieder neu.“ Was im Anschluss in einer virtuosen Performance direkt zu hören war.

Olafsson bettete drei kurze Stücke des Roommates Moondog als Hörprobe in seine Glass-Menagerie von zehn Etüden ein: eine Passacaglia sowie den „Elf Dance“ und „To a Sea Horse“ – weniger kompositorisch raffinierte Stücke als die von Glass, fast kindlich in ihrer Einfachheit, wie ein zögerliches Vorantasten. Als Zugabe eines fantastischen Klavierabends noch drei kurze Stücke von Johann Sebastian“, wie Olafsson sagte, als Letztes seine Transkription von „Widerstehe doch der Sünde“. Lang anhaltender Beifall für Bach und seine Nachfahren.