Hamburg. Der US-Jazzmusiker bezaubert bei der Eröffnung des Elbphilharmonie-Sommers mit Kindred Spirits – zart, traurig und schlicht schön.

Glück hatte im Verlauf dieses Konzerts vor allem ein Gesicht. Am Lächeln von Charles Lloyd war abzulesen, wie sehr es ihm gefiel, seinem neuen Ensemble einfach nur zuzuhören. Kindred Spirits hat der 81-Jährige sein aktuelles Quintett genannt, das im ausverkauften Großen Saal den diesjährigen Elbphilharmonie-Sommer eröffnete.

Der Bandname ist Programm: Der Spiritus Rector Lloyd hat sich Musiker gesucht, die „verwandte Seelen“ sind – allesamt deutlich jünger als er, doch miteinander verbunden im kreativen Erkunden von Songs und Sounds, die allesamt vertraut klingen, aber in neuer Instrumentierung nicht nur die Qualität der Komposition bestätigen, sondern neue Räume im Bekannten entdecken lassen. Dieses Spiel mit dem reichen Material aus einer mehr als 50-jährigen Karriere hat bei der Jazz-Legende Methode: Eigene Songs wie „Prayer“, „Requiem“ oder „La Llorona“ und Traditionals wie „Shenandoah“ werden wie Standards behandelt und immer wieder neu interpretiert.

Das 2007 gegründete New Quartet mit dem Schlagzeuger Eric Harland und dem Bassisten Reuben Rogers bildet die Konstante, doch Lloyd verzichtet aufs Piano, er setzt mit zwei Gitarristen überraschende Akzente. Der 31 Jahre alte, als Wunderkind früh gereifte Gitarrist Julian Lage und der tief im Blues verwurzelte Marvin Sewell sind zwei recht verschiedene Temperamente, die Lloyds neuem Projekt ordentlich Drive geben und es um viele Klangfarben bereichern.

Publikum huldigt mit langen Standing Ovations

Charles Lloyd selbst gibt auf dem Tenorsaxofon oder der Flöte meist den Rahmen vor – und das gewohnt charismatisch. Er ist ein Meister des scheinbar Einfachen, der zarte, traurige oder schlicht schöne Melodien in die Welt setzt. Es wirkt, als würde Lloyd im Intro eine Geschichte erzählen, die von den anderen aufgenommen und im Dialog weitergesponnen wird. Lloyd setzt dann sein Instrument ab, hört zu, wippt, macht ermunternde Gesten, lächelt.

Das genaue Aufeinanderhören ist der Schlüssel für den Flow der Kindred Spirits. Soli innerhalb der Songs sind in diesem Quintett keine routinierten Jazzrituale, sondern kreative Ausflüge. Jeder bekommt reichlich Raum innerhalb des großen Hauses von Lloyds Songs. Marvin Sewell etwa spielt einen anrührenden Blues mit viel Bottleneck-Hall, Lage betörend schöne, stark rhythmisierte Soli, die Rogers und Harland als einfühlsame Partner mal zurückhaltend, mal mit Funk-Beats unterlegen.

Als Zugabe folgen zwei weitere Überraschungen. Eine Komposition von Julian Lage, ein lyrisches elektrisches Solo, das zuweilen klingt, als spielten zwei Gitarristen ein klassisches Stück. Und als übermütiger Abschluss ein ironischer Ohrwurm wie von einer Tanzcombo auf einer Seeterrasse zu später Stunde. Harland verschleppt den Rhythmus fast bis zum Stillstand, Lage schrubbelt auf seiner Gitarre einen Mandolinen-Sound, und Charles Lloyd tanzt dazu mit Rumbakugeln. Nach fast zwei Stunden ist Schluss. Lang anhaltende Standing Ovations. Und beim Blick durch die Reihen war klar: Glück hatte am Ende dieses Abends viele Gesichter.