Hamburg. Die New York Gypsy All-Stars spielen im Hangar 7 das sicher ungewöhnlichste Konzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals.
Zum Konzert geht es per Shuttle-Bus. An Bord tauschen sich die Menschen über Flughafenerlebnisse aus. Weißt Du noch, wie müde wir waren, als wir in Dubai ankamen? Ziel der kurzen Fahrt ist der Hangar 7 der Lufthansa Technik Basis Hamburg. Austragungsort des sicher ungewöhnlichsten Konzertes des diesjährigen Schleswig-Holstein Musik Festivals.
Die New York Gypsy All-Stars bringen ihre weltumspannende Mischung aus Balkan, Bollywood, Jazz und Folk auf eine extra errichtete Bühne. Die steht zwischen zwei Flugzeugen, die in dieser Halle üblicherweise einer technischen Überholung harren. Nicht nur die stauend herumwandelnden Besucher, auch die Band zeigt sich von dem Ort mit der hohen Glasfront sichtlich beeindruckt und bedankt sich ein ums andere Mal.
Ismail Lumanovski dehnt und quetscht jeden Ton seiner Klarinette
Die fünf Musiker, die sich aus der Türkei, Mazedonien, Griechenland und den Niederlanden im Schmelztiegel New York zusammenfanden, bringen alle eine klassische Ausbildung mit. Tamer Pinarbarsi beginnt mit ein paar Takten an der orientalischen Kastenzither Kanun. Dann setzt Engin Kaan Gunaydin am Schlagzeug mit traumwandlerischer Sicherheit rhythmische Akzente. Marius van den Brink steuert ein paar elegante Flächen an den Keyboards bei. Spaßvogel Panagiotis Andreou beherrscht am Bass schnelle Läufe ebenso wie pointierte Slap-Techniken.
Ins Zentrum der Musik aber spielt sich der schillernde Ismail Lumanovski. Mit höchster Virtuosität quetscht und dehnt er jeden Ton seiner Klarinette und spielt mit seinen mal melancholischen, mal rasanten Melodien im Nu den ganzen Saal weich. Das Quintett beherrscht softe Romantik-Jazz-Balladen wie „NY Nine“ genauso wie dynamische Funk-Variationen, etwa „Balkan Bollywood“ oder „EZ-Pass“.
Ein hohes Maß an stilistischer Furchtlosigkeit und Unerschrockenheit leitet diese Musiker. Die Menge lauscht ergriffen, auch mal im Takt zuckend. So klingt moderne Großstadt-Musik, die Menschen und Kulturen verbindet und die Sinne in Schwingung versetzt. An diesem Abend umso eindringlicher, weil sich hinter der hohen Hangar-Glasfront der Hamburger Abendhimmel gerade so schön grün-blau verfärbt. Alle zwei Jahre richtet die Lufthansa Technik ein Benefiz-Konzert aus. Und auch diesmal gehen großzügige Schecks an die Stiftung phoenikks und an das Schleswig-Holstein Musik Festival Festival.
LaBrassBanda im Stadtpark
Ein ungewöhnlicher Konzertort ist der Hamburger Stadtpark zwar nicht. Dennoch präsentiert sich das Schleswig-Holstein Musik Festival auch hier einmal anders als mit stillem Zuhören und gediegenem Ambiente. Die Balkan-Rhythmen, die die Zuhörer bei den New York Gypsy All-Stars zum Mitwippen brachten, am Vorabend entluden sie sich Techno verschärft in einer Party mit Polka.
Und das geht so: Acht Schritte vor mit lässigem Hüftschwung, acht Schritte zurück; vor, zurück; dann das Kommando „Free Style!“ 4000 Menschen werfen ihre Arme in die Luft, verrenken sich und zappeln, als wären sie in einen Wespenschwarm geraten. Die sieben Musiker von LaBrassBanda toben barfuß und in Lederhosen herum, sie pumpen, pusten und stampfen, und unten auf dem Rasen tanzt das Publikum wilder als bei jedem bayrischen Schützenfest.
Die Combo aus dem Dörfchen Übersee am Chiemsee hat für ihren mitreißenden Sound Begriffe wie „Alpen Jazz Techno“ , „Funk Brass“ oder „Bayrischen Gypsy Brass“ gefunden. Entscheidender als diese Schubladen-Bezeichnungen ist das, was aus Tuba, Posaune und drei Trompeten herauskommt: Blasmusik mit Karacho, zusätzlich angetrieben von Bass und Schlagzeug.
Konzerte mit LaBrassBanda sind immer auch Mitmach-Events. „Soultrain“ heißt die eingangs beschriebene Tanzeinlage, im Laufe des zweistündigen Auftritts gibt es lustige Yoga-Anleitungen und weitere Animationen. Stefan Dettl, Gründer des Kollektivs, ist unermüdlich darin, das Auditorium auf Trab zu halten, und die 4000 Brass-Fans machen begeistert mit – egal, ob sie 20 oder 70 sind.
Obendrein ist Dettl auch ein famoser Geschichtenerzähler – wenngleich sein bayrischer Dialekt nicht einfach zu verstehen ist. Die Bandisten sind weit herum gekommen, haben in Brasilien genauso gespielt wie in Nowosibirsk oder in San Francisco und dabei eine Reihe obskurer Geschichten erlebt.
Das SHMF ist für den früheren Musikstudenten Dettl jedoch noch etwas Besonderes. An diesem Abend ist auch für ihn ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen und außerdem hat er 4000 Musikfans glücklich gemacht. Mit dem Blaskapellen-Cover von Daft Punks „Around The World“ trollen sich von der Stadtpark-Wies’n nach Hause.