Hamburg. Die Star-Bratscherin glänzte mit ihrem scheinbar mühelosen Spiel im Bucerius Kunst Forum. Der neue Saal hat jedoch seine Eigenarten.
Tabea Zimmermann ist ein Phänomen. Wie selbstverständlich die Bratscherin und ihr Instrument eins werden, lässt einen immer wieder staunend zurück. Auch beim SHMF-Gastspiel im Bucerius Kunst Forum.
Wenn bei ihr der Bogen auf die Saiten trifft, dann wächst etwas zusammen, was zusammen gehört werden will. Die Klänge atmen, blühen und strömen wie von allein, als hätte das alles nichts mit Üben, Schweiß und Arbeit zu tun, als gäbe es auf ihrem Griffbrett sowieso nur die richtigen, perfekt getimten Töne.
Was natürlich nicht stimmt. Das scheinbar Mühelose im Spiel von Tabea Zimmermann basiert auf einer exzellenten Technik und intensiver Probenarbeit. Gleich in der D-Dur-Sonate von Johann Sebastian Bach zu Beginn konnten die Festivalbesucher erleben, wie sorgfältig da jedes Detail vorbereitet und geradezu liebevoll an seinen Platz im großen Ganzen eingepasst ist.
Tabea Zimmermann kreiert instrumentale Frage- und Ausrufezeichen
Gemeinsam mit Dénes Várjon, ihrem langjährigen Klavierpartner, entwirrte die Bratscherin das Stimmgeflecht in Bachs Musik, deren Linien sich so kunstvoll wie bei keinem anderen Komponisten umranken; dabei formulierte sie die Motive in einer Art „sprechenden“ Artikulation, mit musikalischen Haupt- und Nebensilben, mit instrumentalen Frage- und Ausrufezeichen.
All diese Feinheiten, die kleinen Crescendo-Bäuche, die Betonungen und minimalen Zäsuren, traten deutlich zu Tage – auch weil der Saal im erst vor sechs Wochen neu eröffneten Bucerius Kunst Forum die Klänge ziemlich direkt, bisweilen fast etwas knallig abbildet.
Die Musik scheint einen mitunter förmlich anzuspringen, wie zu Beginn des zweiten Teils, bei Bachs a-Moll-Partita für Klavier. Da modellierte Dénes Várjon eine dichte Interpretation, mit präzisen Stimmimitationen, die sich punktgenau ins Wort fallen, mit Tanzcharakteren vom majestätischen Schreiten der Sarabande bis zur heiteren Gigue, und mit einem Groove, der die Rhythmen voran treibt. Fantastisch gespielt, keine Frage. Aber dieser unerbittliche, stellenweise motorisch durchlaufende Puls bekommt in dem Raum auch etwas Bedrängendes.
Bach und wenig bekannte Stücke der Familie Mendelssohn
Das Programm konfrontierte die Werke von Bach mit wenig bekannten Stücken der Familie Mendelssohn – und ließ dabei Felix gegenüber seiner Schwester ein bisschen grün hinter den Ohren aussehen. Seine c-Moll-Sonate für Viola und Klavier, im Alter von fünfzehn Jahren komponiert, wandelt noch etwas unentschlossen auf den Spuren des Vorbilds Beethoven, gab allerdings Tabea Zimmermann Gelegenheit, den wunderbar satten, kernigen Sound ihrer tiefen C-Saite zu demonstrieren.
Dagegen becircen die Liedbearbeitungen von Fanny Hensel mit einer Poesie und einem melodischen Reichtum, den Zimmermann und Várjon wunderbar weich und mit weiten Bögen ausreizten. Der Eindruck, dass vor allem dieses romantische Repertoire bei der Bratscherin in den allerbesten Händen liegt, bestätigte sich auch mit der Zugabe: Im vierten Satz aus den „Märchenbildern“ von Robert Schumann sang, raunte, flüsterte und säuselte ihr Instrument so anrührend und zauberzart, wie es schöner kaum denkbar ist. Von solchen Klängen würde man sich gern in den Schlaf küssen lassen.