Hamburg. Kent Nagano lässt Messiaen und Bruckner aufeinandertreffen. Darauf muss man sich einlassen – und sollte sich Huster verkneifen.

Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“ ist auf seine Weise genauso anfällig wie Kammermusik von Mozart. Man hört einfach jeden Fehler, weil es so transparent und scheinbar schlicht komponiert ist. Geige und Cello haben endlose, schwerelose Linien zu spielen. Nichts darf hängen oder knacken, es muss so kosmisch frei klingen, wie sich der Franzose Messiaen im Winter 1940/41 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager die Allgegenwart Gottes vorstellte. In höchster Bedrängnis hat er eine Lobpreisung von überirdischer Schönheit geschrieben.

Das Philharmonische Staatsorchester hat das Klavierquartett im 10. Philharmonischen Konzert in der Elbphilharmonie der Neunten Bruckners gegenübergestellt. Moderne gegen Romantik, vier Musiker gegen ein fett besetztes Sinfonieorchester: So etwas schärft die Ohren. Wenn man sich darauf einlässt.

Husten im Großen Saal ausgerechnet an den leisesten Stellen

Leider fanden eine Reihe Hörer nichts dabei, ihre Atemwege ausgerechnet an den allerleisesten Stellen von Fröschen zu befreien und die übrigen rund 2000 Anwesenden im Großen Saal der Elbphilharmonie daran akustisch teilhaben zu lassen. Man kann den Klarinettisten Rupert Wachter nicht genug dafür bewundern, dass er sich bei seinem großen Solo im Satz „Abgrund der Vögel“ vom Geräuschpegel nicht aus der Ruhe bringen ließ.

In einem großen Bogen über acht Sätze hinweg brachten Wachter und die Pianistin Elisaveta Blumina, die Geigerin Joanna Kamenarska und der Cellist Thomas Tyllack die Musik zum Schweben und Schwingen und die messiaen-typischen Vögel zum Zwitschern.

Nagano tat nichts dafür, Bruckner gefälliger erscheinen zu lassen

Bei der Neunten waren die Hörer dann bereit, sich packen zu lassen. Klar, so eine Sinfonie kann man wegschlürfen und muss sich nicht anstrengen beim Hören. Oder vielleicht doch? Dieses Gipfelwerk des Brucknerschen Schaffens, unvollendet und mythenumrankt, ist sperrig in seiner Harmonik wie in seiner Ausdehnung – und Nagano tat nichts dafür, es gefälliger erscheinen zu lassen.

In die Nöte und Seelenqualen, die die drei Sätze verhandelten, konnte man sich nicht genüsslich hineinschmiegen wie in einen Hollywood-Schmachtfetzen. Hier ging es um die ganz großen, letzten Fragen.

Mehr Kontrolle, weniger Hingabe in der Elbphilharmonie

Im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Hingabe, in dem sich Musizieren ereignet, stand Nagano wieder einmal mehr auf der Seite der Kontrolle. Aber er ließ dem Überwältigenden der Musik seinen Raum. Die Blechbläser spürten dem Weltweh Richard Wagners nach, und wo sich der Ton der Geigen im langsamen Satz himmelwärts aufzulösen schien, pochte in den Bässen ein Rhythmus von einer Strenge, das einem angst und bange werden konnte.

Unser Leben ist in Zeit bemessen. Was nach ihr kommt, davon hatten Messiaen und Bruckner offenbar zumindest eine Vorstellung. In der Elbphilharmonie kam sie zum Klingen.