Hamburg. “Fehlkalkulation“ – Veranstalter unterschätzte den Bier-Durst der Lotto-Anhänger. Und plötzlich stand ein Bremer auf der Bühne.

Es plätscherte erst so dahin, dann nahm es Fahrt auf, wie immer in Richtung dieses einen Songs, für den allein ein nennenswerter Teil der Leute stets kommt. Dieses 50. Konzert Lotto Kings Karls im Stadtpark steuerte wie alle anderen vorher auf „Hamburg, meine Perle“ zu. Dann stand, Tatsache, plötzlich ein Bremer auf der Bühne. Und also nicht nur einfach nach Künstlern wie Sebastian Krumbiegel und Joachim Witt der nächste Spezialgast an jenem zwischen Deutschrock und Barmbekschlager changierenden Hamburger Heimatabend. Der Bremer heißt Arnd Zeigler und ist Stadionsprecher vom HSV-Erzrivalen Werder Bremen.

Und er allein war es nun, der die mehr als 4000 Besucher im ausverkauften Stadtpark vom emotionalen Höhepunkt trennte. Denn Zeigler sollte eine Message verbreiten, dafür war er da, von Lotto, dem zuletzt tief gekränkten Hymnenspender und HSV-Cheffolkloristen, sozusagen eigens hergekarrt aus der schönen Hanseschwester von der Weser.

Aber dann buhten die Fans halt erst einmal, weil es für Bremer „hier nichts zu holen gibt“, wie es im Songtext von „Hamburg, meine Perle“ sehr, sehr bekanntlich eben heißt.

Werder-Stadionsprecher macht sich für Lottos Hymne "Hamburg, meine Perle" stark

Während Zeigler bei seinem Einsatz zunächst gestoppt wurde, machte Lotto King Karl dem Fanvolk unmissverständlich klar („Ihr habt die Wahl – entweder ihr lasst den Mann reden, oder wir singen nicht“), dass hier unbedingt noch ein paar starke Sätze gesagt werden mussten. Und das wurden diese dann, in den anschwellenden Jubel hinein, der eine Seele (und vielleicht einige mehr) gestreichelt haben dürfte. Es sei sehr verwunderlich, dass manche „Hamburg, meine Perle“ jetzt abschaffen wollten, tat Zeigler kund – „als wäre dieser Song jetzt plötzlich wie sauer gewordene Milch oder ein ranziges Stück Käse“.

Dazu muss man wissen, dass Zeigler selbst Hymnen-Sänger ist, dass überdies sein – im übrigen ganz prächtiges - Stadionlied „Lebenslang grünweiß“ in Bremen aber selbst nicht mehr gänzlich unumstritten ist. Die Kritik in zumindest manchen Fankreisen ähnelt der in Hamburg: Der Text spiegele in seiner Rückwärtsgewandtheit und dem Schwelgen in einstiger Größe nicht mehr die immer mal wieder auch triste Gegenwart wider.

Vielleicht geht es am Ende gar nicht um Erstklassigkeit

Solidarität unter Musikern also, die in einem sehr speziellen Bereich der populären Musik zu Hause sind, oder anders ausgedrückt: Lotto King Karl sammelt seine Truppen, und da sind gerade Bremer derzeit mehr als willkommen. Das gilt auch für die treuen Fans, die nun so geschlossen hinter ihrem Stadionsänger stehen wie hinter ihrer gebeutelten Mannschaft.

Im Stadtpark trugen sie tapfer und trotzig ihre HSV-Trikots, ertrugen den zwischendrin einsetzenden Regen – es war doch ein Platz an der Sonne versprochen und dann sowas, es war wirklich alles wie beim Fußball – und sangen bei Lottos, sagen wir: eigenwilligen Liebesliedern („Biersexuell“) und öfter auch mal an der Erträglichkeitsgrenze entlangschrammenden Hamburg-Lobpreisungen mit, weil es um Erstklassigkeit am Ende vielleicht gar nicht geht. Die Hauptsache ist doch, man hat Spaß und immer ein Bier in der Hand.

Lotto und die HSV-Fans lassen sich nicht unterkriegen

Apropos, was das anging: Längere Schlangen und unbarmherzigere („Sind die hier zu doof, ein Bier zu zapfen? Es muss ja kein Kunstwerk sein...“) Kunden gab es im Stadtpark vorher wohl noch nie. Man fürchtete mitunter um die Unversehrtheit des Personals. Klarer Fall von Fehlkalkulation – für die sich der Veranstalter kurz nach dem Konzert schon entschuldigte. Der hatte zwar erklärterweise seine Kapazitäten extra für diesen Abend verdoppelt („Wie wir nun wissen, hat das leider noch nicht gereicht“), unterschätzte den Durst der Lotto-Anhänger dennoch immer noch gewaltig. Die tranken, scheint’s, an jenem Abend wie ein ganzes Stadion.

Doch, man konnte an diesem Abend den vielen HSV-Fans im Publikum einen gewissen Respekt nicht versagen. Sie lassen sich nicht unterkriegen. Wer sich für Fußball eher so sekundär interessiert, der bekam von Lotto und seiner Band, die den Ehrennamen „Die Barmbek Dream Boys“ trägt, ehrliches Malocherhandwerk geboten: Mehr als drei Stunden spielten die Musiker ihre Gassenhauer herunter. Heimatliebe kennt eben kein Limit.