Hamburg. Der lettische Star-Dirigent treibt die Wiener Philharmoniker im Großen Saal zu musikalischer Höchstleistung an.

Zart ist Mariss Jansons geworden. Als er die Bühne betritt, einen Schritt den anderen setzend, ist es zu spüren, wie das Publikum im Großen Saal der Elbphilharmonie hofft, er möge es bis zum Dirigentenpult schaffen. Er schafft es. Gibt den Wiener Philharmonikern einen knappen Einsatz und lässt, so wirkt es, Schumanns „Frühlingssinfonie“ einfach aus seinen Händen fließen.

Das Fest beginnt mit dem Ruf der Blech-Fraktion, der das Andante un poco maestoso eröffnet. Das Tutti nimmt ihn auf und fächert das Monolithische des Beginns auf in viele verschiedene Motive und Gedanken, deren Gleichzeitigkeit für Schumanns Tonsprache charakteristisch ist.

Jansons und Wiener Philharmoniker in der Elbphilharmonie

In dieser Sinfonie, seiner Ersten, zeigt sich der Komponist mal ganz ungrüblerisch. Was sonst unter Exegeten verpönt ist, bei Schumann darf man es: vom Werk auf die Lebensumstände schließen. Es ist einfach zu hören, in was für einer glücklichen Phase die Sinfonie entstanden ist; nach langem Ringen konnte er endlich Clara Wieck heiraten.

Wiener verleihen der Musik Glanz und Frische

Und dass er sich vom sinfonischen Übervorbild Beethoven emanzipiert hatte, dürfte ihn ebenfalls beflügelt haben. Weltzugewandt und voller Freude ist die Musik, und die Wiener verleihen ihr einen Glanz und eine Frische, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt. Die Geigen schütteln die Blitze in höchster, exponiertester Höhe nur so aus dem Ärmel, die Flöte spielt ein betörendes Nachtigallensolo, diskret begleitet von zwei Hörnern.

Nach der Pause folgt der Höllenritt durch die Seelenlandschaften von Hector Berlioz. „Symphonie fantastique / Episode de la vie d’un artiste“ hat der junge Komponist das Stück überschrieben. Was gibt die Einbildungskraft dem Helden der Geschichte nicht alles ein!

Bratschen produzieren Eisflächen

Vom Ball bis zum Gang aufs Schafott malt das Orchester die Geschichte einer unglücklichen Liebe aus in allen Farben, die der raffinierte Berlioz in seinem Malkasten anmischt. Die Klarinetten schnarren im Ton eines Till Eulenspiegel, die Bratschen, die doch sonst den Streicherklang von innen her zum Leuchten bringen, produzieren Eisflächen, und vier Fagotte vermählen sich mit Glocken und zwei Tuben.

Jansons – keine Theatralik, kein Gefuchtel

Die Musiker folgen Jansons durch jede noch so feine Änderung im Zeitmaß, atmen mit ihm in den Übergängen. Jederzeit flexibel in der Dynamik, gewichten sie die Stimmen und formen das Geschehen plastisch, ohne dass sie die Artikulation eigens herauskehren müssten.

Wie Jansons das erreicht? Zu sehen ist jedenfalls nichts. Wenn große Dirigenten alt werden, haben sie keine Theatralik und kein Gefuchtel mehr nötig. Es wird der Kontakt mit den Musikern sein, ein Gesichtsausdruck, hier und da eine kleine Drehung des Handgelenks – ach, nennen wir es doch gleich Magie.