Hamburg. Matthias Hartmanns „Macbeth“ auf Kampnagel: Keine neuen Ideen, nur ein unnötiger Eingriff aus dem Off.
Das Mikrofon streikt. Erst hallt es, dann knarzt es, dann verstummt es. Macht aber eigentlich nichts. Oliver Masucci artikuliert seinen Text in Matthias Hartmanns Inszenierung von Shakespeares „Macbeth“ einwandfrei vernehmbar weiter. Gut, vielleicht ist seine einzige Bühnenpartnerin, die weiterhin mikroportverstärkte Catrin Striebeck, jetzt etwas lauter als er.
Aber es gibt eine Unterbrechung. Auf blauen Socken hüpft Regisseur Hartmann auf die Kampnagel-Bühne und kündigt das seiner Ansicht notwendige Einhalten an. Bis dahin haben der karrierebesessene, von Skrupeln zerknirschte Macbeth (Oliver Masucci) und seine Morde einflüsternde, nicht minder machtgeile Lady (Catrin Striebeck) sehr professionell ein Shakespeare-Destillat als Kammerspiel abgespult. Nun steht der ehemalige Burgtheaterintendant angesichts des jähen Einbrechens der Realität in die Kunst ratlos auf der Bühne.
Die Schauspieler sind genervt
Leider fühlt er sich berufen, ein paar Anekdoten etwa von dem kurz vor der Vorstellung noch reparierten Kleid zu erzählen. Die Schauspieler sind sichtlich genervt. „Mehr Theater kriegen Sie nicht!“, bekommt der Regisseur gerade noch die Kurve. Die Bühne, so Hartmann, sei ja für diese Dinge nicht gemacht. Doch. Schon häufig ist hier in der mittleren Kampnagelhalle in Theaterperformances gesprochen worden.
Und es braucht kein Mikrofon, um sich Gehör zu verschaffen. Wie gesagt, das hätten die beiden Theaterstars auch ohne hinbekommen. Aber natürlich ist dieser ganze Abend ein Wagnis. Und dazu ist es ausgerechnet die erste Eigenproduktion des Hamburger Theater Festivals, das eher für einen Reigen durchgesetzter Gastspiele mit gesichertem Publikumszuspruch bekannt ist.
In nur zwölf Probentagen bewältigte das Duo Striebeck und Masucci den Shakespeare-Text in der modernen Übersetzung und Bearbeitung von John von Düffel. Das Bühnenbild (Volker Hintermeier) besteht eigentlich nur aus einer massiv wirkenden Flügeltür, die wie aus einer Illusionisten-Show entlehnt wirkt, viel Nebel und blendendem Licht. Die Zuschauer sitzen auf drei Tribünen dicht am Geschehen. Dritter Mitspieler ist, wenn man so will, der Pianist Karsten Riedel, der ganz wunderbar bedrohliche Klangeffekte erzeugt oder zu dramatischen Indie-Pop-Hymnen ansetzt.
Die Lady im Blitzlichtgewitter
Inhaltlich konzentriert sich der Abend darauf, das Geschehen durch das Brennglas dieser von Eigeninteressen geleiteten Beziehung zu beleuchten. Macbeth ist beflügelt von dem Hexenspruch, der in ihm den neuen König von Schottland sieht. Das gefällt auch seiner Lady. Und bald klebt Blut an Oliver Masuccis Händen. König Duncan ist tot.
Macbeth trägt nun selbst die Krone, weidet sich mit seiner Lady im Blitzlichtgewitter und lächelt sich tapfer und verlogen durch Bankette mit den Lords. Bei Hartmann und seinem Kostümbildner Malte Lübben ist Macbeth ein moderner Managertyp in Turnschuhen. Catrin Striebeck muss sich samt schwarzer Hose einen wenig kleidsamen flamingofarbenen Sahnebaiser-Fummel überwerfen.
Wie sie da zusammenstehen, gestikulieren, die nächsten Schachzüge beflüstern, das wirkt zunächst sehr routiniert, wenig dynamisch. Auf die Dauer wäre das vielleicht etwas eintönig geworden. Nach der Zwangspause aber steigt die Konzentration, die Anspannung.
Ein furioses Sprachkonzert
Die Gewissensqual wird spürbar. Striebecks Lady wirkt noch ein wenig diabolischer in ihrer Anstachelung und Entschlossenheit. Während sich Masuccis Macbeth vom Zauderer zum Tatmensch entwickelt, der für den Erhalt der blutig errungenen Königsmacht auch seinen Freund Banquo aus dem Weg räumt. Aber das Böse fordert seinen Preis. Erst sieht Macbeth den Geist des Untoten. Schließlich gleitet die Lady noch vor ihm in den Wahnsinn ab. Misstrauen schleicht sich ein. Der Tod wird zum einzigen Ausweg. „Und wenn wir scheitern?“, fragt Masuccis Macbeth. „Scheitern wir“, ruft Striebecks Lady vergnügt aus. Macht ist ein Spiel, dem die Erfolgsverwöhnten siegesgewiss ins Auge sehen. Das lässt sich auf Basis des großen Menschenkenners Shakespeare natürlich auch überall in der politischen Gegenwart beobachten.
Das Hamburger Theater Festival hält dem nach dem Burgtheater-Skandal und der Debatte um Theater-Machtstrukturen angeschlagenen Matthias Hartmann weiter die Treue. Die Inszenierung ist allerdings keine künstlerische Offenbarung. Sie verlässt sich auf einen Bühnenminimalismus und die kraftvolle Textarbeit von Düffels, eine eigene Idee zum Stoff entwickelt sie nicht. Sehenswert ist sie vor allem deshalb, weil die beiden Bühnenstars als Sparrings-Partner mit dem machtbesessenen Königspaar ein furioses Sprachkonzert abliefern. Und mit großer Gelassenheit eine Panne bewältigen und dabei Seiteneinblicke in ihre Arbeit gewähren. Das ist in der Tat sehenswert.