Hamburg. Oliver Masucci und ein kleines Team stemmen in nur zwei Wochen für das Hamburger Theaterfestival ein „waghalsiges Projekt“.

Macbeth trägt Sneaker. Seine Lady streift auf schwarzen Highheels über die Probebühne, allerdings in bequemen Adidas-Hosen. Ein Zeichen innerer Gelassenheit ist diese äußere Lässigkeit nicht, überall lauert der Feind: „Zerteilt ist nur die Schlange, nicht getötet. Sie schließt die Wunde und verdoppelt sich; das Gift, das uns bedroht, ist noch dasselbe!“ raunt Oliver Masucci, der hier die Titelfigur gibt. „Zimmertemperatur!“ fordert Matthias Hartmann und blickt auf die Uhr, die Mittagspause ist überfällig. „Oh, wir haben überzogen.“ An ihrem knurrenden Magen hätte man das eigentlich merken müssen, bemerkt Catrin Striebeck trocken und tauscht die schwarzen Stöckel gegen Bequemeres. Erleichterungsseufzer.

Die Zeit ist knapp. Zwei Probenwochen für einen Shakespeare – das ist sportlich. „Alles ist komprimiert: Auseinandersetzung, Streit, Versöhnung, Bergfest, Essen, Trinken, nochmal Streit, nochmal Zusammenraufen – das haben wir alles schon in der ersten Woche hinter uns!“ fasst Striebeck die Probenarbeit zusammen. „Natürlich kann man nur scheitern!“ ergänzt Masucci vergnügt. „Wenn in der Premiere was schief geht, denkt das Publikum, das gehört so. Aber im Stück geht es ja auch um das Scheitern, das passt also.“

Textfassung von John von Düffel

Das Stück ist Shakespeares „Macbeth“ in der Textfassung des früheren Thalia-Dramaturgen und Schriftstellers John von Düffel und in der Bearbeitung des ehemaligen Burgtheaterdirektors Matthias Hartmann, der hier auch die Regie führt. „Macbeth“ als Zweipersonenstück auf Kampnagel, die erste richtige Eigenproduktion des Hamburger Theaterfestivals, bei dem sonst hochkarätige Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum gastieren. Sollte es scheitern, dann wenigstens mit Eleganz.

Auch die Besetzung hat Klasse: Seit Oliver Masucci 2015 in der Bestsellerverfilmung „Er ist wieder da“ den Hitler gespielt hat, seit er in der Clan-Serie „4 Blocks“ ebenso besetzt war wie in der ersten deutschsprachigen Netflix-Produktion „Dark“, ist Masucci, der 30 Jahre am Theater gearbeitet hat, ein Star der Branche. Drehbücher kann er sich aussuchen, in Florian Henckel von Donnersmarcks oscarnominiertem „Werk ohne Autor“ war er Joseph Beuys.

Masucci nur noch selten auf der Bühne

Theater spielt Masucci kaum noch, die Hamburger Festival-Inszenierung ist eine Ausnahme. Es ist das Stück („Ich meine: Macbeth!“), es ist auch die Partnerin. „Catrin und ich wollten schon vor 18 Jahren Lord und Lady Macbeth zusammen spielen“, erzählt Masucci. In anderen Rollen standen sie oft zusammen auf der Bühne, waren eine Weile sogar privat ein Paar („Sie sagt: ein Jahr lang, ich sage: sechs“). Am Deutschen Schauspielhaus waren beide engagiert, unter Matthias Hartmann haben sie in Bochum gespielt, in Zürich, an der Wiener Burg.

„Hier ist jetzt alles entschlackt“, erklärt Hartmann und schiebt im Kampnagel-Casino „Peacetanbul“ seinen Mittags-Matjes neben die Bratkartoffeln. Rotwein dazu. Ein Moment der Ruhe. Erst zwei Tage vor Probenbeginn hatte Hartmann Opernpremiere gefeiert, Mozarts „Idomeneo“ an der Mailänder Scala, und eigentlich entwickelt er gerade Fernsehserien für Jan Mojtos Beta Film und das österreichische Red Bull Media House. „Mir reicht die Probenzeit eh nie. Man hat die Bedingungen, die man eben hat. Aus der Not entsteht die Tugend.“ Dass die Königsmörder-Tragödie in der Hamburger Fassung um den Großteil ihres Personals erleichtert wurde, hilft. Man könne „Romeo und Julia“ nicht ausschließlich mit Romeo und Julia auf die Bühne bringen und „Richard III.“ nicht allein mit Richard, findet Hartmann. Bei „Macbeth“ aber, da funktioniere diese totale Verdichtung auf die beiden Hauptfiguren: „Das Paar steht im Vordergrund. Sie haben ihr gemeinsames Projekt: Machtergreifung und Karriere. Und in dem Moment, in dem sie sich nicht mehr vertrauen, sind sie auch sofort tot.“

Kaum wirklich erfolgreiche Inszenierungen

Beim Hamburger Theaterfestival vor zwei Jahren trugen die Schauspielgeschwister Meret und Ben Becker in einer szenischen Lesung aus John von Düffels Version des Macht- und Mord-Dramas vor. Aus der provisorischen „Leseprobe“ am St. Pauli Theater soll nun ein abendfüllendes Stück auf Kampnagel werden, drei Vorstellungen sind eingeplant, „in gewisser Weise ein waghalsiges Projekt“, findet Matthias Hartmann. Eigentlich gebe es in der Geschichte des Stückes kaum eine wirklich erfolgreiche „Macbeth“-Inszenierung, fügt er hinzu und kaut dabei lächelnd auf seinem Matjes. Es scheint ihn, der vor genau zehn Jahren schon einmal Schostakowitschs „Lady Macbeth“ an der Wiener Staatsoper verantwortete, nicht zu schrecken. „Sind wir schon so alt, das wir das nicht mehr wagen?“ habe ihn Oliver Masucci „getriggert“. „In Theaterproben findet etwas statt“, sagt Hartmann. „Es werden Grenzen überschritten, die gewisse Erfahrungen erst ermöglichen.“

Seinen Mitstreitern geht es offenbar ähnlich, die Lust am Draufgängerischen, am Gefühl der „Bretterbuden-Arbeit“, die ist spürbar. Beide Schauspieler haben das Projekt ohne zu zögern zugesagt, noch vor Probenbeginn saßen sie zuversichtlich in der Talkshow von Bettina Tietjen und Alexander Bommes, Reklame-Plaudern für das Theaterfestival. Catrin Striebeck konnte ihren Dialoganteil da bereits, Oliver Masucci hockte während der Sendung auf seinem Textbuch und ist auch heute auf die Souffleurin angewiesen. Bis zur Premiere sei das überhaupt kein Problem, winkt er lässig ab. „Wir arbeiten ja im Termingeschäft.“

Parallelen zu "House of Cards"

„Die lieben sich, die helfen einander, ohne einander würden sie es nicht schaffen“, sagt Matthias Hartmann. Spricht er jetzt über Lord und Lady Macbeth oder über seine Schauspieler? Der Regisseur lacht. „Passt vielleicht beides“, gibt er zu. Er will einen „heißen“ und „intensiven“ Abend schaffen, dabei gefällt ihm die Konstellation, dass zwei Schurken die Hauptfiguren sind. „Immer Blut für Blut“, sagt er und nimmt noch einen Schluck Rotwein. „Man kann das Gute nicht mit dem Bösen schaffen, aber man fiebert manchmal mit dem Bösen mit. Wie bei Frank Underwood in ,House of Cards’: Man will da halt auch, das der Böse gewinnt.“ Gegen das, was er „Besserwissertheater“ tauft, hat Matthias Hartmann etwas. Für ihn ist das Theater ein „Ort der Diskussion, in dem man unterschiedliche Positionen ins Rennen schickt. Dann wird’s dramatisch.“

Kann Theater denn noch mithalten, wenn schon die echte Politik bisweilen zwischen Tragödie und Schmierentheater schwankt? Bei „Macbeth“ könne man ganz grundsätzliche politische Strukturen erkennen, sagt der in Österreich lebende Hartmann. „Der Mensch ist so und Shakespeare kann von ihm erzählen, so dass wir uns in ihm erkennen.“