Hamburg. Das Stück im Thalia in der Gaußstraße widmet sich der Zeit des Eisernen Vorhangs – eine Hommage an die russischen Hippies.
Putin lächelt bereits milde zwischen Jim Morrison und Jim Hendrix von einem Wandbild. Ein anderer fehlt noch. Schließlich wird auch das Gemälde Donald Trumps, kostümiert als Country-Schnulzen-Sänger, an der gegenüberliegenden Wand platziert. Was Putin angeht: Den Ikonen der 1968er-Bewegung und des legendären dreitägigen Woodstock-Konzertes 1969 in Bundesstaat New York huldigt hier ein Land, das hinter dem Eisernen Vorhang des Kalten Krieges jene Helden gar nicht kennen durfte – offiziell zumindest.
In „Checkpoint Woodstock“, dem Stück der russischen Theatermacherin Marina Davydova, eröffnen ein übernervöser Merlin Sandmayer und eine selbstbewusste Sonya Levin als amerikanisch-russisches Moderatoren-Duo ein Museum im Moskau der Gegenwart, das so in der Realität niemals existieren würde. Aber das ist der Clou der leichtfüßig beginnenden und dann doch ins Ernste kippenden Satire, die jetzt im Thalia in der Gaußstraße zur Uraufführung kam.
Köstliche Grußnoten von Putin und Trump
Vor dem silbrig glänzenden Vorhang (Bühne und Kostüme: Zinovy Margolin) schenkt Victor Gonzales Softdrinks an die erste Zuschauerreihe aus. Vladimir Rannev stimmt erst ein John-Lennon-Medley und dann Tschaikowski am verstimmten Flügel an, wozu Levin in ihrem Uniform-Kostüm einen bühnenreifen Schwanensee-Tanz hinlegt. Russisches Heldenpathos wird in Filmeinspielungen einer von LSD schwärmenden Lehrerin genauso persifliert wie der bäuerliche amerikanische Stumpfsinn mit „Imagine“ brummenden Fahnenschwenkern.
Auch die Grußnoten von Putin und Trump sind köstlich. Doch dann wird es ernst. Und still. In einem langen, grandios getragenen Monolog, erzählt Felix Knopp als Museumsdirektor Leonid Grossmann von einer Jugend hinter dem Eisernen Vorhang in der russischen Provinz. Grossmann war russischer Hippie. Allerdings ganz anders als im Westen.
Freiheit atmen durch Rock’n’Roll
Grossmann und seine Freunde suchen keine Sozialutopie. Alles Revolutionäre kann ihnen seit Stalin gestohlen bleiben. Sie wollen Freiheit atmen durch Rock’n’Roll. Sie suchen und finden heimlich ins Land geschaffte, weil natürlich verbotene, sündhaft teure Platten von Pink Floyd und einer Band aus England, deren Namen „Beatles“ man nicht aussprechen darf. Es wird kopiert und hemmungslos kompiliert – zur Not mit Spezialtechnik auf alten Röntgenaufnahmen. Sie imitieren den Westen, den fernen Planeten, tragen Schlaghosen und lange Haare. Von Woodstock erreichen sie doch nur die „Schatten der Schatten der Gegenkultur“.
„Checkpoint Woodstock“ hat sich da schon längst aus seiner theaterhaften Rahmenhandlung gelöst und zur detail- und kenntnisreichen Ost-West-Historien-Lecture gewandelt. Es zeigt sich, dass es nicht so einfach mit dem Utopie-Gedanken ist. Er ist ein Hohlspiegel in zwei Richtungen. Mit einer West-Linken, die die Schreckensherrschaft und Lagertode Unzähliger in der Sowjetunion und China ignoriert. Und einer Ost-Linken, die den Westen idealisiert, allein deshalb, weil man sich damit gegen die Sowjetmacht positioniert.
Davydova setzt auf dokumentarisches Videomaterial
Es gibt aber auch erstaunliche Parallelen. Die acht Protestler auf dem Roten Platz gegen den Einmarsch der Sowjetunion in die Tschechoslowakei werden darin kurzgeschlossen mit acht Demonstrierenden in Chicago bei Massenprotesten gegen den Demokraten-Parteitag. Davydova setzt auf Musik und dokumentarisches Videomaterial. Das ist besonders klug gewählt, wenn sich das Museum für die Theaterzuschauer öffnet und sie auf der Bühne stehend Ausschnitte von „Apokalypse Now“ bis zum Prager Frühling betrachten.
Woodstock wird im Westen zu einem Symbol für einen Geisteszustand, ein metaphysisches wie soziales Projekt. Undenkbar im von Tragik, Einsamkeit, Kettung an die Vergangenheit und Heldenpathos geprägten Osten. Es ist eine ziemlich aufrüttelnde, aber auch desillusionierte Bilanz einer für Davydova global beendeten Epoche. Was die nächste bringen wird, ist völlig offen. Ein ungewöhnliches Theatererlebnis, das vielleicht manchmal die Sinne zugunsten des Kopfes vernachlässigt.
„Checkpoint Woodstock“: 13.5., 17.5., 1.6., jew. 20 Uhr , Thalia Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter Tel. 32 81 44 44