Hamburg. Michael Frayns Drama „Demokratie“ zeigt im Ernst Deutsch Theater, wie die Kanzlerschaft Willy Brandts begann und traurig endete.
„Ich liebe Deutschland. Ich liebe es so sehr, dass ich zufrieden bin, weil es gleich zwei Deutschland gibt“, formulierte der Romancier François Mauriac (1885-1970) einst. Auch der Dramatiker Michael Frayn mag Deutschland. Und dass unser Land mal in zwei Staaten gespalten war, interessiert ihn, ebenso der komplizierte bundesdeutsche Parlamentarismus. Am Donnerstagabend besuchte Frayn (85), hierzulande bekannt dank Bühnenerfolgen wie „Der nackte Wahnsinn“ und „Kopenhagen“, mit seiner Ehefrau und Schriftsteller-Kollegin Claire Tomalin im Ernst Deutsch Theater die Premiere seines Stücks „Demokratie“. Und erhielt auf der Bühne fast noch mehr Applaus als das Ensemble und das Regieteam.
In „Demokratie“ hat Frayn, übrigens unter Mithilfe des Ernst-Deutsch-Theater-Dramaturgen Stefan Kroner, die erste Kanzlerschaft eines bundesdeutschen SPD-Politikers zum Thema gemacht. Und weil die Regierungszeit Willy Brandts von 1969 bis 1974 untrennbar verbunden ist mit der Affäre um den DDR-Spion Günter Guillaume, steht die Beziehung des „Friedensstifters“ Brandt zum von der Stasi ins Kanzleramt eingeschleusten Referenten im Zentrum.
Guillaume hält Zwiesprache mit seinem Stasi-Offizier
Frayn hat sich in „Demokratie“, das 2003 in London Uraufführung feierte, an den historischen Daten und Zusammenhängen orientiert. Wie es hinter den Kulissen zuging, entspringt in seinen teilweise überraschend komischen Dialogen der Fiktion. An der Mundsburg haben mit Eva Humburg (Bühne) und Sabine Birker (Kostüme) zudem zwei Könnerinnen ganze Arbeit geleistet, indem sie einer zehnköpfigen Männerriege den Boden für ihr Politschauspiel liefern. Im Bundestagssaal mit Rednerpult beginnt mit der Wahl Brandts die Reise in den inneren Bonner Machtzirkel, oft umgeben von Zigarettenrauch und Rotwein.
Die Tour geht auf der sich drehenden Bühne ins Palais Schaumburg, bis 1976 erster Dienstsitz des Bundeskanzlers. Führt durch Hinterzimmer weiter in den Sonderzug, in dem Brandt 1972 den wohl ungewöhnlichsten Wahlkampf der deutschen Nachkriegsgeschichte er- und durchlebte, zum Urlaub nach Norwegen bis nach Bad Münstereifel, wo sich Brandt 1974 zum Rücktritt aufraffte.
Immer dabei: Günter Guillaume. Er ist alsbald nicht nur Teil dieses Figuren-Kabinetts, von Beginn an hält er immer wieder Zwiesprache mit seinem Stasi-Verbindungsoffizier Kretschmann. Sein Aufstieg, verbunden mit immer mehr Kompetenzen und Einblicken, überrascht Guillaume selbst. Er soll vor allem ausleuchten, wie es um die neue Ostpolitik bestellt ist und sie möglichst noch fördern. „Können wir der DDR trauen?“, fragt ihn Brandt einmal – Guillaume weicht aus. „Können wir ihm trauen?“, fragt Kretschmann (überzeugend kalt: Stephan A. Tölle) stattdessen aus dem Hintergrund Guillaume.
Sven Walser ist Willy Brandt völlig unähnlich
Marcus Calvin gibt den DDR-Spion bei seinem Debüt im Ernst Deutsch Theater als beflissenen, sich selbst verleugnenden Sancho Pansa, der die Ehefrau – ebenfalls DDR-Agentin – und seinen Sohn bis zur Selbstaufgabe vernachlässigt. Brandt vermisst er nach dessen Rücktritt und seiner eigenen (viel zu) späten Enttarnung schmerzlich.
Sven Walser wirkt – dem Ex-Kanzler in Statur und Sprachduktus völlig unähnlich – als Willy Brandt zunächst weniger glaubhaft, gewinnt aber als eine Art Don Quijote im zweiten Akt an Format. Die Aura eines Wahlsiegers (wie eben 1972) geht ihm ab, die Widersprüche des Melancholikers und von Machtspielen der Genossen zerrissenen Hoffnungsträgers von der traurigen Gestalt verkörpert Walser umso überzeugender. Seine eindringlisten Reden sind die, in denen er nichts sagt – beim Kniefall in Warschau und beim DDR-Besuch am Fenster in Erfurt. Die Aura, die ihn umgibt, ist eine Maske, hinter der Depression, Zaudern und Selbstzweifel stecken. Guillaume mag er eigentlich nicht, doch fast zwanghaft sucht er am Ende dessen Nähe.
Hartmut Uhlemann gibt dieser Zweierbeziehung in seiner Inszenierung ein starkes Gewicht, hätte an zwei, drei Stellen die Regie-Zügel in diesem mehr als zweieinhalbstündigen modernen Königsdrama etwas mehr anziehen können. Indes ist dank des Bühnenbildes bei diesem Stück „Demokratie“ fast immer etwas in Bewegung – und sei es bei einer kleinen Polonaise. Während der Kanzler oben seine Reden über gute Nachbarschaft gehalten hat, haben die Bonner Referenten und Minister unten ihren Machtspiele getrieben.
Erik Schäfflers Herbert Wehner kommt dem Original recht nah
Uhlemann hat darauf verzichtet, die Schauspieler der Politprominenz anzugleichen: Ob Frank Jordan als FDP-Innenminister Genscher, Carsten Klemm als Brandts „Kronprinz“ Helmut Schmidt oder Frank Thomé als richtig hemdsärmeliger Kanzleramtsminister Horst Ehmke. Nur Erik Schäfflers Herbert Wehner kommt pfeiferauchend dem Original als „SPD-Zuchtmeister“ recht nah, belohnt mit einigen Lachern und Extra-Applaus vom Publikum.
Auch „Onkel Herbert“ ist ein Widerspruch der Macht. Er hat Brandts Koalition mit der FDP abgelehnt und muss das ungeliebte Bündnis als Fraktionschef zusammenhalten. „Mehr Demokratie wagen“, lautet Brandts Motto in seiner ersten Kanzlerschaft. „Je mehr man sie wagt, desto straffer muss man sie unter Kontrolle halten“, schimpft Wehner. Auch eine Erkenntnis, wenn man wie der britsche Autor Frayn die pointierte Sicht von außerhalb auf Deutschland hat.