Vor 25 Jahren feierten 80.000 Fans Tina Turner und Joe Cocker in Lüneburg. Norman Raap erinnert sich an ein Festival im Dauerregen.

Musikalisch gesehen waren die Hamburger vor 25 Jahren nicht gerade verwöhnt. Wer Weltstars wie Prince, Joe Cocker, Tina Turner oder Rod Stewart einmal live auf der Bühne erleben wollte, hatte im doppelten Wortsinn schlechte Karten.

Die „Alsterdorfer“ Sporthalle (Winterhude) mit maximal 7000 Besuchern und miserabler Akustik machte schon damals wenig Spaß, die heutige Barclaycard Arena gibt es erst seit 2002. Und Open Air? Für große Konzerte war neben dem Stadtpark nur das Volksparkstadion gut, nachdem das Millerntor wegen der zwei überlauten Prince-Konzerte 1988 zur livemusikberuhigten Zone erklärt worden war. Die Entdeckung der Trabrennbahn als massenkompatibler Abspielort für Rock und Pop ließ auch noch auf sich warten.

Da kam ein Open-Air-Festival gerade recht, das als „deutsches Woodstock“ und „Europas größtes Musikspektakel“ in die Geschichte eingehen sollte: „Rock over Germany“, eine Art Wanderzirkus der namhaftesten Pop- und Rockmusiker jener Zeit, schlug seine Zelte in Lüneburg gleich hinter Hamburg auf.

Drei Tage lang feierten 1993 am ersten September-Wochenende 80.000 Fans auf dem Flugplatz der Kreisstadt einen bis dahin fast beispiellosen Konzertmarathon. Viele von ihnen übernachteten in einem der 15.000 Zelte und Caravans rund um das Festivalgelände.

Prince wollte einen Wassergraben vor der Bühne

Doch die Campingplätze hielten dem Dauernieselregen nicht lange stand. Deshalb mussten Bauern mit ihren Treckern immer wieder Wohnmobile aus dem Schlamm ziehen – jeweils für 20 D-Mark­. Aller Anfang war auch für Heimschläfer und anreisende Tagesgäste schwer: Während die einen schon vor der riesigen Doppelbühne feierten, standen andere Besucher noch im Megastau zwischen Hamburg und Lüneburg – oder suchten stundenlang einen Parkplatz am Stadtrand und verpassten die Höhepunkte des ersten Abends.

Der Dauerregen machte den Campern auf dem Zeltplatz das Schlafen ungemütlich
Der Dauerregen machte den Campern auf dem Zeltplatz das Schlafen ungemütlich © Stephan Wallocha

So kam es, dass der Platz nur halb gefüllt war, als Prince am Freitagabend passend zum nasskalten Wetter „Purple Rain“ anstimmte. Hinter der Bühne kümmerten sich 120 Helfer um das persönliche Wohl des US-Stars, drei von ihnen waren nur für den Handtuch-Bestand des Musikers zuständig.

Niemand außer seinen engsten Vertrauten habe mit Prince sprechen dürfen, auch seine Bandmitglieder nicht, verrieten Insider. Mehr noch: Angeblich soll Prince damals von den Veranstaltern sogar einen Wassergraben vor der Bühne gefordert haben, um vor den Fans geschützt zu sein. Der Kompromiss: ein zweiter „Bühnengraben“ aus zusätzlichen Absperrgittern.

Foreigner und Joe Cocker treten auf

Die Besucher wiederum schützten sich mit bunten Regencapes und durchsichtigen Plastikplanen vor dem Wasser, das von oben kam, und genossen auch am zweiten Tag ein hochklassiges Programm. Nach Foreigner („I Want To Know What Love Is“) und OMD („Maid of Orleans“) ließ schließlich Peter Maffay die „Sonne in der Nacht“ über Lüneburg aufgehen.

Joe Cocker musste direkt aus der Limousine auf die Bühne
Joe Cocker musste direkt aus der Limousine auf die Bühne © action press | MARTIN,UWE

Gegen den frenetisch gefeierten Deutschrocker wirkte Pop-Barde Chris de Burgh („Lady In Red“) anschließend fehl am Platz. Vielleicht lag es aber auch am strömenden Regen, dass selbst seine größten Mitsing-Hits an diesem Abend einfach nicht zünden wollten. An einem Bierstand gab es während Chris de Burghs Auftritt sogar eine Art „Gegenkonzert“: Rund 100 Besucher tanzten Polonaise zur Musik von Hans Albers – aus einer 1000-Watt-Anlage.

Wie viele Zuschauer kam auch Weltstar Joe Cocker („Up Where We Belong“) mit Verspätung an. Er musste direkt aus der Limousine auf die Bühne, um den Zeitplan nicht zu gefährden. Am letzten Tag heizten er und Tina Turner den Massen auf dem Flugplatz ein.

Tina Turner wirbelte wie eine Pop-Göttin über das Parkett
Tina Turner wirbelte wie eine Pop-Göttin über das Parkett © ullstein bild - Röhrbein | ullstein bild - Röhrbein

Zehntausende tanzten begeistert mit, als die damals 53 Jahre alte Amerikanerin („What’s Love Got To Do With It“) in schwarzem Leder fit wie eine junge Popgöttin über das Parkett wirbelte. Die Sängerin hatte sich eine Bar auf die Bühne stellen lassen, um während des Konzerts 20 Gäste, darunter Popstar Jon Secada („Just Another Day“), mit Wein und Wasser zu bewirten.

70 Fans fielen vor Rod Stewart in Ohnmacht

Hinter der Bühne „bewohnte“ Tina Turner vier Container und ein 40 Quadratmeter großes Zelt, das sie von Prince nach dessen Abreise am Freitagabend übernommen hatte. Die übrigen Künstler aßen im großen Cateringzelt. Auf dem Büfett lagen unter anderem Lammkotelett, Putensteak und Weingummi.

Rod Stewart krönte das Festival mit einem „Best-of“ seiner Hits – und schickte sein Publikum mit „I am sailing“ glücklich nach Hause. Gemessen am Wetter – heiter bis wolkig, aber endlich trocken – und an der Zahl der funkelnden Wunderkerzen (schätzungsweise 100.000) ein versöhnliches Ende für die meisten Besucher.

Doch nicht für alle Fans lief es vor der Bühne rund: Allein bei Rod Stewart waren 70 Besucher in Ohnmacht gefallen. Insgesamt 700 Zuschauer mussten sich an allen drei Tagen von Sanitätern behandeln lassen. 48 Besucher wurden ins Krankenhaus gebracht – die meisten wegen Verstauchungen oder wegen Alkoholvergiftung.

Hohe Getränkepreise gab’s schon damals

Andere Fans klagten über zu lange und schlecht ausgeschilderte Fußwege von den Parkplätzen zum Festivalgelände sowie über zu viel Müll durch weggeworfene Einwegbecher und auch über verdreckte Toiletten. Viele lobten aber auch die „einmalige, ausgelassene Stimmung“ auf dem Gelände.

Aus heutiger Sicht kurios: Abgesehen vom schon damals günstigen Eintritt – nur 73 D-Mark (37 Euro) für drei Tage – erschienen die übrigen Preise auf dem Festival vor 25 Jahren eher hoch. Ein Bier für 4,50 D-Mark (2,30 Euro), ein Glas Wein oder ein Hotdog für je 5 D-Mark (2,56 Euro). Sogar die (nur kalte) Dusche auf dem Zeltplatz sollte zwei D-Mark kosten … Egal. Hauptsache, die Musik war gut, und der Sound stimmte. „Der Klang ließ leider zu wünschen übrig“, schrieb das Abendblatt, vor allem „nahe der Bühne ist die Akustik schlecht“. Oha! Wie gesagt, die Hamburger waren nicht gerade verwöhnt damals.