Hamburg. Die Kulturfabrik ist mit drei Ko-Produktionen beim Berliner Theatertreffen vertreten – Schauspielhaus und Thalia gehen leer aus.

Am Mittwochmorgen verkündete die Jury des Theatertreffens ihre Auswahl der zehn „bemerkenswertesten Inszenierungen“ der Saison, die vom 3. bis 19. Mai im Haus der Berliner Festspiele zu sehen sein werden. Das Ergebnis ist aus Hamburger Sicht eine kleine Sensation: Während Thalia Theater und Schauspielhaus leer ausgehen, ist Kampnagel gleich dreifach vertreten.

„Diese Auswahl ist eine großartige Bestätigung der Rolle der Internationalen Produktionshäuser“, freuten sich Amelie Deuflhard und Sommerfestival-Chef András Siebold. „Durch Kooperationen unterschiedlicher Häuser ermöglichen wir innovativen Künstlerinnen und Künstlern außerhalb des Stadttheaterkontextes zu produzieren, ihre Arbeiten zu touren und einem großen Publikum zugänglich zu machen.“

Mit welchen Produktionen Kampnagel nach Berlin fährt

Zu den Kampnagel-Koproduktionen, die nach Berlin eingeladen wurden, gehört die aparte Nebel-Theaterinstallation „Girl From The Fog Machine Factory“ von Thom Luz, die mit feinsinniger Erzählweise und viel musikalischem Gespür bereits beim Internationalen Sommerfestival 2018 das Publikum bezauberte. Dabei ist auch „Unendlicher Spaß“, Thorsten Lensings Adaption des gleichnamigen Romans von David Foster Wallace, der mit einem kühnen Zugriff auf den komplexen Stoff und einem Allstar-Ensemble um Ursina Lardi und Devid Striesow überzeugte .

Schließlich ist auch „Oratorium“, die aktuelle Produktion der Performance-Veteranen She She Pop, mit einer Einladung bedacht worden. Das Jubiläumsstück anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Hamburg-Berliner Kompanie gastiert übrigens vom 8. bis 10. Februar auf Kampnagel. Alles in allem ein verdienter künstlerischer Erfolg für Amelie Deuflhard und ihr Team. Die Dreifach-Einladung zeugt von der hohen Qualität der Produktionen.

Für Schauspielhaus und Thalia war nichts zu holen

Weitere der begehrten Einladungen gingen an die Münchner Kammerspiele („Dionysos Stadt“, Regie: Christopher Rüping), das Schauspiel Dortmund („Das Internat“, Regie: Ersan Mondtag), zweimal an das Theater Basel – darunter eine Koproduktion mit dem Burgtheater Wien – („Hotel Strindberg“, Regie: Simon Stone und „Tartuffe oder das Schwein der Weisen“, Regie: Claudia Bauer), das Deutsche Theater Berlin („Persona“, Regie: Anna Bergman), sowie zweimal an das Staatsschauspiel Dresden („Das große Heft“, Regie: Ulrich Rasche und „Erniedrigte und Beleidigte“, Regie: Sebastian Hartmann).

Während diese Häuser also in Feierlaune sind, war für beiden großen Stadttheater Hamburgs in diesem Jahr nichts zu holen. Nun ist die Auswahl stets das Ergebnis kontrovers diskutierter Einschätzungen von sieben Fachkritikern. Und natürlich werden bei insgesamt 418 in Augenschein genommenen Inszenierungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz qualitativ herausragende Arbeiten übersehen. Die Fachzeitschrift „Theater heute“ widmet diesem Phänomen seit Jahren eine eigene Rubrik. Dennoch stellt sich natürlich die Frage, warum keine der Thalia- oder Schauspielhaus-Produktionen einladungswürdig erschien.

Frank Castorf ist eigentlich Stammgast in Berlin

Aus dem Schauspielhaus ist Frank Castorf eigentlich Stammgast beim Theatertreffen, und sein fulminanter Entwurf von Eugene O’Neills „Der haarige Affe“ mit Charly Hübner kam immerhin in die engere Auswahl. Tatsächlich verfügt das Haus von Karin Beier über Karin Henkel bis hin zu Falk Richter über viel Regie-Potenzial.

Am Thalia Theater wäre am ehesten eine Würdigung des „Orpheus“ von Antú Romero Nunes vorstellbar gewesen. Thalia-Regisseuren mit starken Handschriften wie Ersan Mondtag oder Christopher Rüping scheinen großen Würfe derzeit eher an anderen Häusern zu gelingen. Überdies fehlen dem Thalia Theater Kaliber wie Nicolas Stemann oder Luk Perceval, die inzwischen woanders arbeiten.

In Sachen Frauenanteil hat das Theatertreffen Nachholbedarf

Die Auswahl der Jury trägt zweifellos dem gestiegenen Einfluss freier Produktionshäuser wie Kampnagel Rechnung – ohne diesen jedoch die alleinige Kraft für künstlerische Innovation zuzuschreiben.

Erfreulich ist darüber hinaus, dass zwei Regisseurinnen und mit She She Pop ein gemischt-geschlechtliches Kollektiv vertreten sind. In Sachen Frauenanteil hat das Theatertreffen aber noch immer einen ähnlichen Nachholbedarf wie die Oscar-Verleihung in Hollywood.