Hamburg. In der Bühnenversion des Films „Die Filzlaus“ ist auch Sewan Latchinian, künftiger künstlerischer Leiter des Traditionshauses, zu sehen.

Schleicht sich so ein echter Killer davon? Natürlich sollte auch im Theater die Trennung zwischen der Figur und dem Schauspieler an erster Stelle stehen. Schon bevor seine fünf Kollegen mitsamt Regieteam unter Beifall die Treppe zum Foyer herunterkamen, hatte sich Sewan Latchinian ohne viel Aufhebens in den hinteren Teil des Cafés Jerusalem in den Hamburger Kammerspielen verdrückt. Aber flüchten, das konnte der Schauspieler und neue künstlerische Leiter (ab 1. August) des Traditionstheaters nach der für ihn zweifachen Premiere ebensowenig wie zuvor auf der Bühne.

Und wer weiß, ob „Die Nervensäge“ ohne Latchinian, der erst kurz vor Probenbeginn eine der beiden Hauptrollen übernommen hatte, so amüsant genervt hätte.

Spiel mit dem Thema „Mörder rettet Selbstmörder“

Denn für das groteske Spiel mit dem Kernthema „Mörder rettet Selbstmörder“ braucht es außer zielsicherem Witz vor allem zwei treffend besetzte Charaktere. Schließlich feierte das Stück des französischen Autors Francis Veber bereits vor fast 50 Jahren in Paris seine Uraufführung.

Er lieferte in den 1970er- und frühen 80er-Jahren zugleich die Vorlage zu den Kino-Hits „Die Filzlaus“ mit den Stars Lino Ventura und Jacques Brel sowie „Buddy Buddy“ mit Walter Matthau und Jack Lemmon, diesem ewig seltsamen Paar.

Auf der Kammerspiele-Bühne sind Sewan Latchinian als Profikiller Ralph und Jacques UIlrich als Berufsfotograf Francois Pignon in einer Art unheilvoller Zwangsfreundschaft Hotelzimmer an Hotelzimmer miteinander verbunden – nur getrennt durch eine Zwischentür.

Chaos zwischen Zimmer 7 und 8

Auch in der von Autor Veber selbst überarbeiteten und von Dieter Hallervorden ins Deutsche übersetzten Neufassung von „Die Nervensäge“ kommt der leidlich erfolgreiche Francois Pignon dem Killer Ralph hier bei seiner Auftragsarbeit in die Quere: Weil seine Gattin Louise mit ihrem Psychiater Dr. Wolf durchgebrannt ist, sieht Pignon nur noch den Freitod als Ausweg. Aber selbst der misslingt.

Beim Versuch, sich in der Toilette zu erhängen, reißt er den Spülkasten aus der Wand. Und Ralph, der eiskalte Killer, wird mitgerissen im Strudel der Ereignisse, die die „Nervensäge“ auslöst. Chaos zwischen Zimmer 7 und 8 – ohne dass jemand die Betten macht.

Das Hotel liegt direkt gegenüber vom Justizpalast. Vom Fenster seines Zimmers aus soll Ralph einen Auftragsmord ausführen – das Präzisionsgewehr gut versteckt, alles längst minutiös durchgeplant. Polizei? Die kann der Killer nun gar nicht gebrauchen und gibt gegenüber dem emsig-besorgten Hotel-Pagen Vincent (Achmed Ole Bielfeldt) vor, sich um den labilen Francois zu kümmern.

Inszenierung kommt nicht immer auf den Punkt

Der schmächtige Jacques Ullrich spielt ihn als nach Zuneigung und um Aufmerksamkeit heischendes Tollpatschchen, dem die Zuneigung des Publikums naturgemäß zufällt, dem man in seiner Rolle die Ehe mit der blonden Louise (klar und präzise: Natalie O’Hara) indes nicht ganz abnimmt.

Turbulenzen und Verwechslungen häufen sich, das Stück kommt in Fahrt. Jedoch kommt die Inszenierung des international tätigen Regie-Routiniers Jean-Claude Berutti, dank des Erfolgs „Ziemlich beste Freunde“ und zuletzt „Der rechte Auserwählte“ in den Kammerspielen präsent, nicht immer auf den Punkt. Dabei sind Timing und Präzision in einer Komödie unabdingbar.

Dieser Killer ist ausgesprochen komisch

Die, kombiniert mit schauspielerischer Wandlungsfähigkeit, zeigt umso mehr Sewan Latchinian als komischer Killer. Erst gefühlskalt und barsch, dann lakonisch, schließlich sogar ansatzweise verständnisvoll versucht er der „Nervensäge“ zu trotzen. Und verliert dabei doch mehr und mehr die Contenance.

Das ist wahre und harte körperliche Arbeit bis hin zur Überzeichnung: Er wischt sich den Schweiß von der kahlen Stirn, wird vom immer wieder defekten Rollladen des Hotelfensters niedergestreckt, taumelt, lallt, verzieht das Gesicht zu Grimassen, verstellt die Stimme, läuft bedrohlich rot an und steht selbst dann wieder auf, nachdem er vom Seelenklempner Dr. Wolf (komisch und voll überzeugend: Achim Buch) eine Beruhigungsspritze verpasst bekommen hat, die eigentlich für den suizid-gefährdeten Zimmernachbarn Francois gedacht war.

Und ganz nebenbei: Wann hat man in Hamburg schon mal einen Theaterleiter – wenn auch in spe – erlebt, der seiner Rolle und Situation gemäß sein Hinterteil entblößen lassen muss, sogar von der Bühne stürzt und mehrmals gegenüber der Polizei, in diesem Fall Jung-Schauspieler Jarno Soukup als unfreiwilligem Eindringling ins Hotel, handgreiflich wird?

Eine Alternative zum „Tatort“ aus Münster

Den Bühnenkampf beherrscht Sewan Latchinian, ehemals Intendant des Volksheaters Rostock, also auch. In „Die Nervensäge“ ist das nicht das Schlechteste. Insbesondere die Slapstick-Szenen sorgen für komödiantische Würze, Lacher und Szenenbeifall.

Mit dem Prädikat Qualitätsklamotte wäre das Stück verkürzt beschrieben, obschon der psychologische Aspekt zwischen Auftragskiller und Einzelgänger einerseits und nach einem Freund suchenden Lebensmüden hier nur angerissen wird.

Dennoch war die Premiere am Sonntagabend eine feine Alternative zum Münsteraner ARD-„Tatort“, wie der minutenlange Beifall im Saal zeigte.

Am 28. April folgt dann Latchinians erste Regie-Arbeit an den Kammerspielen. Titel: „Nein zum Geld!“. Erneut eine Komödie.