Hamburg. Das Branford Marsalis Quartet mit dem Sänger Kurt Elling im Großen Saal der Elbphilharmonie.

Vier gegen einen? Keine allzu faire Angelegenheit wäre das, wenn man als Jazz-Vokalist gemeinsam mit einem Instrumental-Quartett auf eine Bühne gehen müsste, zwischen ­dessen vier Mitglieder kein Notenblatt und erst recht kein Fünfter mehr passen soll. Doch mit Ego-Problemen im Rampenlicht hat es Branford Marsalis offenbar wirklich nicht; der Mann kann bestens, geradezu tiefenentspannt ­Applaus und Aufmerksamkeit gönnen können. Gezickt wird bekanntlich ­immer erst in der zweiten Liga. Seit ­einigen Jahren schon trifft der Saxofonist aus New Orleans sich dann und wann mit einem singenden Kollegen aus Chicago auf einer Wellenlänge. Und immer wenn Kurt Elling als fünftes Fünftel dabei ist, können sich Respekt und Spaß sehr souverän die Waage halten.

Nun also: Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, ausverkauftest natürlich, as good as it get’s, „21st Century Jazz at the Philharmonic“ wäre als historische Anspielung für dieses Konzertsaal-Niveau nicht allzu sehr untertrieben. „This hall is amazing ...“, staunte Marsalis, während der Rest der Band den Ausblick genoss. Das Schöne daran: Der Abend, der folgte, war es auch.

Dezent quirlige Sopransaxofon-Einwürfe

In Gershwins „There’s A Boat Dat’s Leavin’ Soon For New York“ drehte die Band die Uhren sehr smart zurück, in die goldenen Jahre des American Songbook, als eine gut gebaute Akkordfolge noch das Maß aller Dinge war. Marsalis’ dezent quirlige Sopransaxofon-Einwürfe würzten zunächst nur vor. In ­Dinah Washingtons Herzbrecher-Ballade „Blue Gardenia“ dann, mit Marsalis am Tenor, kam der Geschichtenerzähler erstmals umfangreicher zu seinem Recht, der mit wenigen Noten ein Beziehungsdrama skizzieren konnte. Sehr ­erwachsen, sehr ausdrucksstark, sehr eigen: die Interpretation einer weiteren Ballade, Stings „Practical Arrangement“ aus dessen grau meliertem Spätwerk, mit der Elling Größe bewies.

Zur Charakterisierung von Ellings Klasse genügt im Grunde genommen ein Satz: Es gibt sie doch noch, die klassisch guten Jazz-Sänger alter Schule. In jeder Geschwindigkeit bestechend intonationssicher, raffiniert phrasierend, entspannt und auf den Punkt. Dass er ein Scatter vor dem Herrn ist, bewies ­Elling bei Weitem nicht nur in Sonny Rollins’ Klassiker „Doxy“. Für die brasilianischen Momente im Leben schmuste er sich durch Jobims elegant abgebremste Sonnenuntergangs-Bossa „Só Tinha De Ser Com Você“.

Spitzen-Jazzer, auf der Höhe ihrer Kunst

Selbst wenn die beiden Frontmänner einen klitzekleinen Schwächelanfall bekommen hätten – die Rhythmusgruppe war jederzeit spielend in der Lage, die Sache wieder flott nach vorn zu treiben. Drummer Justin Faulkner ist eines dieser hochtourigen Kraftpakete, deren Schlagzeug man eigentlich sicherheitshalber im Bühnenboden verschrauben müsste, weil sie derart mit Macht loslegen. Bassist Eric Revis’ Tieftöner-Druck von unten kam in der verstärkten Ton­mischung zwar kaum in Block K an, erst in einer sehr späten Solo-Einlage, doch für die ihn umgebenden Kollegen in der Saalmitte reichte es offenbar tadellos. Und Pianist Joey Calderazzo? Spielt für zwei, swingt für drei, hat Ideen für vier. Eine Bank, seit vielen Jahren schon.

Zu den vielen Heiligtümern, die Frank Sinatra allen Croonern nach ihm hinterlassen hat, zählt ganz gewiss „I’m A Fool To Want You“. Elling und Marsalis trauten sich am Ende des Abends selbst da ran, als wäre es das Einfachste von der Welt, sich in diese Repertoire-Regionen vorzuwagen. Eine Stimme, ein Tenorsaxofon. Zwei Spitzen-Jazzer, die auf der Höhe ihrer Kunst sind.