Hamburg. Lukas Geniušas, Gidon Kremer und die Kremerata Baltica in der Elbphilharmonie. Daniil Trifonov musste absagen.

Gidon Kremer nutzt sein Instrument als Seismograf. Mit dem Bogen in der Hand spürt er den emotionalen Beben der Musik nach, bis in ihre feinsten Ausschläge hinein. Für diese hochsensible Streicherkunst des lettischen Geigers und seiner Kremerata Baltica ist der Große Saal der Elbphilharmonie eine ideale Umgebung, weil er selbst die leisesten Nuancen noch präzise ­abbildet.

Wie aus dem Nichts, und doch gerade so eben hörbar, zitterten sich die ersten Tremoli zu Beginn des Konzerts ins Ohr, bevor sie allmählich zusammenwuchsen. Als zerbrechliche Basis für den Gesang der Sologeige, in einer Streichorchesterfassung der Violinfantasie von Schubert. Kremer und seine Kollegen leuchteten Schuberts Wehmutsfarben aus und lauschten gemeinsam auf die Flüstertöne der Musik. Auch in Pärts „Fratres“, nach der Pause, mit seiner auskomponierten, in kühle Harmonien getauchten Stille.

Absage von Trifonov

Pärts wohl bekanntestes Stück war erst kurzfristig reingerutscht. Nach der krankheitsbedingten Absage von Tastenstar Daniil Trifonov mussten die Veranstalter einen neuen Klaviersolisten auftun und das Programm entsprechend umbauen. Mit Lukas Geniušas zauberte ProArte einen hervorragenden Ersatzmann aus dem Hut.

Der litauisch-russische Pianist, Jahrgang 1990, präsentierte sich als einfühlsamer Chopin-Interpret. Ohne große Gesten, den Kopf über die Tastatur geneigt, fand Geniušas im zweiten Klavierkonzerte eine perfekte ­Mischung aus kantablem Strömen, Virtuosität und verträumtem Innehalten. Vor allem im zweiten Satz, dem Herzstück des Konzerts, schien er dem Flügel eine menschliche Stimme zu geben – im vertraut wirkenden Zusammenspiel mit der Kremerata Baltica, die auch ohne Kremer wie auf Zehenspitzen musiziert.

Wachheit und Spielfreude

Seine Wachheit und Spielfreude demonstrierte das baltische Kammerorchester auch am Schluss, in der Streichorchesterfassung von Mendelssohns ­Oktett op. 20. Auch wenn sich da minimale Unschärfen abzeichneten, die so vielleicht nur in der Elbphilharmonie zu Tage treten, änderte das nichts am ­Gesamteindruck: dass sich die Interpreten in ihrem musikalischen Feinsinn von der Akustik bestens aufgehoben und verstanden fühlten.